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Vorbemerkungen

Die aktuellen Erkenntnisse der Neurowissenschaften verändern derzeit die Sicht auf das Gehirn grundlegend. Hier nur zwei Beispiele: Zu den Vorstellungen gehörte bislang, das Gehirn sei eine Festplatte, auf die wir Informationen aufspielen und bei Bedarf abrufen könnten. Stattdessen entdeckt mittlerweile die moderne Neurowissenschaften das menschliche Gehirn als dynamisches, selbst organisierendes System, das Informationen aktiv und sehr selektiv auswählt und diese in einem hochkomplexen Prozess verarbeitet.

Eine andere Vorstellung war, dass es im Gehirn ein Zentrum gibt, quasi eine Kommandozentrale, die Entscheidungen trifft. Doch es gibt grundsätzlich kein „oberstes Wahrnehmungs- und Verhaltenssteuerungs­zentrum“ (Roth 1996, S. 151). Ebenso scheint es keine einzelnen, klar abgegrenzten Orte zu geben, in denen das Gehirn klar definierte Aufgaben erledigt, wie zum Beispiel das Sprechen. Stattdessen scheint das Gehirn aus eng verflochtenen Systemen zu bestehen, die insgesamt ein „Supersystem von Systemen“ bilden (Damasio 1994, S. 59): „Heute können wir mit Gewiss­heit sagen, dass keine einzelnen Zentren für Sehen oder Sprache oder auch Vernunft und Sozialverhalten existieren. Vielmehr gibt es ‚Systeme’, die aus mehreren untereinander verbundenen Ge­hirnabschnitten bestehen“, sagt der Neurowissenschaftler Damasio (1994, S. 40). In diesem Zusammenhang wurde auch die Annahme widerlegt, die beiden Gehirnhälfte funktionieren getrennt voneinander – eine sei für den Verstand, die andere für unser Fühlen zuständig. Beide Hälften bilden eine Einheit und keine Gegensätze.

Solche Erkenntnisse bescheren den Neurowissenschaften derzeit eine erhebliche Aufmerksamkeit von Theoretikern und auch Praktikern, was sich unter anderem auch an populärwissenschaftliche Zeitschriften wie „Gehirn & Geist“ zeigt. Wissenschaftsdisziplinen prüfen derzeit, wie sich die Erkenntnisse auf die eigene Disziplin auswirken, zum Beispiel im Marketing (z.B. Häusel 2004, Scheier 2005, Scheier/Held 2006; Zimmermann 2006) und in der Psychologie (vgl. z.B. Seidel 2004, Storch 2005).

Gleichzeitig eröffnet die Interpretation der Ergebnisse der neurowissenschaftlichen Forschung auch Spekulationen und vollmundigen Versprechungen Tür und Tor; sie führen zu Fehleinschätzungen, wie die Annahme, den ‚Kaufknopf’ im Kopf des Konsumenten gefunden zu haben oder jene, dass Forscher dem Gehirn bei seiner Arbeit zuzuschauen könnten. So haben die aktuellen Studien der Neurowissenschaften zu einer Diskussion über deren Potenzialen, aber auch deren Grenzen geführt (vgl. z.B. den Überblick von Scheier 2005).

Eine vergleichbare Diskussion über die neurowissenschaftliche Forschung gibt es in den PR bisher kaum, weder in der Theorie noch in der Praxis. Dieser Beitrag will deshalb auf diese Disziplin aufmerksam machen und an ausgewählten Beispielen aufzeigen, wie deren Erkenntnisse auch die strategischen und operativen PR bereichern können.

Noch ein Hinweis: Ich beschäftige ich mich mit den Neurowissenschaften schon seit längerer Zeit, zum Beispiel mit deren Erkenntnissen über die Bedeutung von Bildern, die bereits in mein Buch „Corporate Imagery – Wie Ihr Unternehmen ein Gesicht bekommt“ eingeflossen sind (Herbst/Scheier 2004) und auf die ich auch in diesem Beitrag zurückgreife. Bei der Beschäftigung mit der Literatur habe ich entdeckt, welchen enormen Beitrag die Neurowissenschaften für die Gestaltung gelungener Kommunikation zwischen einem Unternehmen und seinen internen und externen Bezugsgruppen leisten können. Diese Einsicht hat meine Arbeit stark beeinflusst. Ich hoffe, dass dieser Beitrag für denen einen oder anderen Anstoß ist, sich weiterführender mit diesem Thema zu beschäftigen. Meine Überzeugung: Die Neurowissenschaften werden die PR ändern.

Das Gehirn ändert sich durch Kommunikation

Zu den grundlegenden und weitreichenden Erkenntnissen der Neurowissenschaften gehört, dass Kommunikation die Gehirne von Menschen verändert – diese sind nach der Kommunikation nicht mehr die gleichen wie vorher. Wie lässt sich dies aus neurowissenschaftlicher Sicht erklären?

Das Gehirn besteht aus rund 100 Milliarden Nervenzellen, deren Aktivität als „feuern“ bezeichnet wird. Diese Nervenzellen enthalten unser Wissen über die Welt, also auch über Unternehmen. Nervenzellen, auch Neuronen genannt, gehen untereinander Verbindungen ein. Hirnforscher schätzen, dass es in einem Gehirn etwa 100 Billionen Verbindungen gibt (z.B. Spitzer 2002). Nach welchen Prinzipien entstehen diese Verbindungen?

Ein allgemein anerkanntes Modell beschreibt dies als „Hebbschen Plastizität“ (Hebb 1949). Hebbschen Plastizität entsteht, wenn zwei oder mehr Nervenzellen gleichzeitig feuern: In diesem Fall nimmt unser Gehirn die beiden Reize als zusammengehörig wahr, sie verbinden sich und tauschen Informationen durch Botenstoffe (Transmitter) aus. Der Merksatz von Hebb lautet: “Cells that fire together, wire together“. Die Stelle, an der die beiden Nervenzellen in Verbindung treten und Signale austauschen können, wird Synapse genannt. Durch jede gemeinsame Erregung wird die synaptische Verbindung zwischen den Nervenzellen verstärkt und damit die Informations­übertragung verbessert; je häufiger also unser Gehirn zwei Reize gleichzeitig wahrnimmt, desto stärker entwickelt sich deren Bereitschaft zur Übertragung der Botenstoffe. Dieses Prinzip funktioniert ähnlich dem Aufbau von Muskeln im Fitnesstudio: Beanspruchen wir Muskeln oft, erhöht sich ihre Leistung. Der Körper geht davon aus, dass der Muskel wichtig ist, wenn wir ihn oft benutzen. Und so funktioniert es auch im Gehirn: Zwei Zellen feuern nur dann zusammen, wenn sie für uns bedeutend sind – unbedeutende Reize aus unserer Umwelt führen nicht zum Feuern; die Verbindung muss ein Mindestmaß an Aktivierung haben, damit sie stattfindet.

In unserem Gehirn zeigt sich also die höhere oder geringere Leistungsfähigkeit in der leichteren beziehungsweise schlechteren Aktivierbarkeit der synaptischen Verbindung.  Wenn sich die synaptischen Verbindungen zwischen Nervenzellen durch häufiges Nutzen stärken, nennen die Fachleute dies ‚Bahnung’. Hüther (1997) verwendet für den Vorgang der Bahnung das Bild eines Weges, der durch unwegsames Gelände gebahnt wird. Der Weg wird desto breiter, je häufiger er benutzt wird. Nach vielen Jahren der Benutzung findet man dann eine breite, gut begehbare Strasse vor. Wege, die selten oder gar nicht mehr benutzt werden, verschwinden wieder von der Erdo­berfläche. Sie verwildern und wachsen zu. In Hüthers Bild kann man sich im Gehirn die gut gebahnten Verbindungen zwischen ein­zelnen Nervenzellen als gut ausgebaute breite Wege vorstellen.

Um­gekehrt gilt für das Bild des Muskeltrainings: Muskelgruppen, die wir selten beanspruchen, ver­ringern ihre Leistungsfähigkeit. Für Nervenzellen: Jene Verbindungen, die das Gehirn nicht mehr benötigt, oder die längere Zeit nicht aktiv war, werden abgebaut. Um im Bild von Hüther zu bleiben: Ver­bindungen zwischen Nervenzellen, die nicht benutzt werden, ver­schwinden wieder aus der Gehirnlandschaft, indem sich ihre leichte Aktivierbarkeit und ihre verbesserte Übertragungsleistung zurück­bilden.

Ein anderes Beispiel soll noch einmal die Hebbsche Plastizität verdeutlichen: Wir kennen die Zahl 1789. Und wir haben in der Schule gelernt, dass es die Französische Revolution gegeben hat. Beim Lesen im Geschichtsbuch hat unser Gehirn festgestellt, dass beide Reize bedeutend sind und gleichzeitig auftreten. Unser Gehirn legt eine Verbindung zwischen beiden Informationen an: 1789 = Französische Revolution. So haben wir auch Englischvokabeln gelernt. Wollen wir jetzt auch Italienisch lernen, sucht unser Gehirn nach synaptischen Verbindungen, nicht mehr oder nicht häufig aktiv sind. Dieses Material wird dann dafür verwendet, Italienischvokabeln zu lernen, nach dem Motto: „use it or lose it“.

Was bedeutet dies für die PR?

Die Bezugsgruppen eines Unternehmens erfahren, dass es dieses Unternehmen gibt. Fortan könnte dieses Unternehmen in deren Gehirn durch Nervenzellen repräsentiert sein. In den PR können sie lernen, eine Verbindung zwischen dem Unternehmen und Informationen herzustellen. Beispiel: Volvo steht für Sicherheit, BMW für sportliches Fahren, Mercedes für Prestige. Je häufiger unser Gehirn die Reize gemeinsam wahrnimmt, zum Beispiel durch Lesen einer Broschüre und Informationen auf der Website, desto leichter können sie auf diese Verbindung zugreifen. Speichern die Bezugsgruppe Informationen über das Unternehmen, steigert dies demnach die Leistung der „synaptischen Übertragungsmechanismen“ (Roth 2001, S. 161). Das Gedächtnis der Bezugsgruppen beruht somit auf Veränderungen im Gehirn, „die erfahrungsabhängig sind und die Grundlage von Lernen bildet“ (Roth 2001, S. 150). Neuronale Netzwerke scheinen eine Statistik unserer Erfahrungen zu sein (Spitzer 2002). Dieser Prozess kann auch als Lernen bezeichnet werden: Die Bezugsgruppen lernen durch häufige Wiederholung, Gedankenverbindungen (Assoziationen) zwischen dem Unternehmen und Informationen herzustellen. Der Neurowissenschaftler LeDoux schreibt: „Lernen besteht in der Verstärkung synaptischer Verbindungen zwischen Neuronen“ (LeDoux 2001, S. 229). Jeder Lernvorgang beruht auf diesem Mechanismus, gleichgültig, ob es sich dar­um handelt, Französischvokabeln zu lernen oder Unternehmen mit deren Merkmalen zu speichern. Selbstverständlich entsteht das neuronale Netzwerk eines Unternehmens nicht aus den Quellen der PR allein, sondern zum Beispiel auch durch das familiäre oder berufliche Umfeld, die Massenmedien, Wettbewerber.

Oft geht es in den PR nicht nur darum, etwas Neues zu lernen; gleichzeitig sollen die Bezugsgruppen etwas Altes verlernen, zum Beispiel Wissen, das nicht mehr gültig ist (z.B. über die Unternehmenspositionierung), oder Erfahrungen (z.B. bisherige mangelnde Kundenorientierung). In diesem Fall müssen parallel zum Erwerb von weiteren Assoziationen mit dem Unternehmen, also Gedankenverbindungen, alte abgebaut werden. Dies kann ein Unternehmen dadurch erreichen, indem es das alte neuronale Netz so wenig wie möglich benutzt, also schlechte Erfahrungen nicht wiederholt. Nicht benutzte Nervenverbindungen bilden sich zurück, neue neuronale Verbindungen können ihren Platz übernehmen.

An dieser Stelle wird jedoch auch deutlich, dass ein einmaliger Kontakt mit einem neuen Reiz nicht ausreicht, alte Assoziationen zu ersetzen – das Lesen einer Broschüre, in der das Unternehmen seine Innovationskraft darstellt, schafft noch keine starken, dauerhaften Gedankenverbindungen. Dies erklärt ebenso, warum Bezugsgruppen nur schwer und sehr langwierig „umlernen“, wenn sich die Unternehmen verändert wie im Fall der Deutschen Post World Net, die in vielen Menschen noch immer die Assoziation mit dem Postboten erzeugt. Notwendig scheint es in den PR, und dies lässt sich auch aus neurowissenschaftlicher Sicht begründen, sorgfältig und langfristig zu planen, wie ein Unternehmen auf die Assoziationen seiner Bezugsgruppen gestalten und wie dies überzeugend und wirkungsvoll geschehen kann.

Das Gehirn strukturiert neuronale Netzwerke

Durch plastische Veränderungen im Gehirn werden nicht nur zwei Nervenzel­len miteinander verbunden, sondern auch ganze Gruppen. Solche Gruppen bezeichnet Hebb als „neuro­nale Netzwerke“, englisch „cell assemblies“ (Hebb 1949): „Unser Gehirn, getrieben von Effizienz, legt Informationen nicht wie ein Computer einzeln ab, sondern organisiert die Welt in so genannten neuronalen Netzwerken. Ein solches Netzwerk besteht aus einer Vielzahl von Nervenzellen (Neuronen), die miteinander verbunden sind. (Scheier/Held 2006, 134) Diese neuronalen Netzwerke sind die Bausteine unseres Gedächtnisses. Ohne sie könnten wir nicht die Menge an Informationen, die jede Sekunde auf uns einströmt, sinnvoll ord­nen und abrufen.

Neuronale Netze entstehen dadurch, dass ein Reiz bestimmte Muster gemeinsam auslöst – beim Gedanken an ein Unternehmen entsteht nicht eine Assoziation, sondern es entstehen viele. Geschieht dies wiederholt, stärkt sich dieser gesamte Nervenkomplex. Auch für Gruppen von Nervenzellen gilt demnach die Hebbsche Plastizität: Ist ein bestimmtes Erregungsmuster durch häufiges Wiederholen gut gebahnt und damit zu einer „cell assembly“ verbunden, ist das ist diese Gruppe von Nervenzellen immer leichter aktivierbar.

Als Ergebnis der PR und dem damit verbundenen Lernprozesses entsteht ein neuronales Netzwerk vom Unternehmen mit allen Assoziationen. Wichtig hierbei sind konzentrierte Eindrücke vom Unternehmen, die den Aufbau von dauerhaften Assoziationen durch gezieltes und häufiges Wiederholen unterstützen. Vermittelt ein Unternehmen immer neue Positionierungen und verwendet es immer neue Begriffe, kann sich kein stabiles Netzwerk entwickeln.

Hat ein Unternehmen ein neuronales Netzwerk aufgebaut, könnte es unter anderem messen,

  • ob dessen Bezugsgruppen bestimmte Assoziationen mit dem Unternehmen aufgebaut haben
  • welcher Art diese Assoziationen sind (kognitiv, emotional)
  • wie viele Assoziationen dies sind
  • wie einzigartig diese Assoziationen sind
  • ob diese Assoziationen sympathisch oder unsympathisch sind
  • wie lange es dauert, bis die Bezugsgruppen die einzelnen Assoziationen abrufen können

 

Die Assoziationen können sich auf die Leistungen des Unternehmens beziehen, oder die Gefühle, die mit dem Unternehmen verbunden sind (vgl. Herbst 2003). Die Assoziationen können sich auf Texte und Bilder beziehen, wobei bildhafte Assoziationen stärker verhaltenswirksam sind.

Ein solches neuronales Netzwerk kann aus Faktenwissen bestehen und aus jenen mit dem Unternehmen verbundenen Emotionen. Es kann bestehen aus sensorischen Eindrucken, ausgelöst durch visuelle Reize (Bilder, Inszenierungen), akustische Reize (Musik, Geräusche, Sprache), olfaktorische Reize (Geruch), haptische und taktile Reize (Oberflächen, Böden, Wind) sowie gustatorische Reize (Geschmack). Das Sehen spielt hierbei die herausragende Rolle, weil wir zu 80 Prozent durch Sehen lernen (Herbst/Scheier 2004). Die multimodale Ansprache aller Sinne führt dazu, dass mehrere Hinbereiche aktiv sind und sich das Unternehmen hierdurch stärker verankert als bei der Aktivierung von nur einem Bereich. Scheier und Held gehen davon aus, dass die Ansprache alle 5 Sinne die 10fache Wirkung erzeugt (Scheier/Held 2006).

Mehr noch:

Damasio weist neben den kognitiven, emotionalen und sensorischen Assoziationen auch auf den körperlichen Aspekt hin: Haben die Bezugsgruppen Erfahrungen mit dem Unternehmen gesammelt, speichern sie die damit verbundenen Körperzustände als positiv oder negativ ab, sie werden zu genannten somatischen Markern (Damasio 1994). Ein solcher Körperzustand ist zum Beispiel ein „gutes Bauchgefühl“. Die Bewertung findet statt nach dem System „gut gewesen, wieder aufsuchen“ oder „schlecht gewesen, das nächste Mal lieber meiden“. Die Vernunft ist bei Entscheidungen immer auch beteiligt, aber sie kommt erst zum Einsatz, nachdem die somatischen Marker schon lange tätig waren (Damasio 1994). In den mit den positiven Bewertungen verbundenen emotionalen Reaktionen plus den begleitenden Körperreaktionen (der guten Empfindung im Bauch) vermuten Hirnforscher die neurobiolo­gische Basis des Motivationssystems. Zu den Erinnerungen an ein Objekt, das einmal real wahrgenommen wurde, gehören also nach Damasio „Auf­zeichnungen der Anpassungsreaktion, welche die Sammlung der sensorischen Signale notwendig begleiten. Ferner enthalten die Erinnerungen auch Aufzeichnungen der unvermeidlichen emotio­nalen Reaktionen auf das Objekt. Wenn wir uns nun an ein Objekt erinnern . . . , dann rufen wir also nicht nur sensorische Daten ab, sondern auch die begleitenden motorischen und emotionalen Da­ten. Wenn wir uns an ein Objekt erinnern, rufen wir nicht nur die sensorischen Besonderheiten eines realen Objekts ab, sondern auch die früheren Reaktionen des Organismus auf das Objekt“ (Damasio 2001, S. 195).

Insgesamt kodieren neuronale Netze also

  • das Faktenwissen über ein Unternehmen,
  • die mit ihm verbundenen Emotionen (z.B. Sicherheit, Geborgenheit),
  • sensorische Eindrücke sowie
  • Körperreaktionen.

 

Damasio geht davon aus, dass „praktisch jedes Objekt und jede Situation unserer Erfahrung“ mit Emotionen und den begleitenden Körper­zuständen verknüpft werden (Damasio 2001, S. 77).

Für die PR bedeutet dies, dass die Bezugsgruppen nicht nur die Informationen über das Unternehmen und die (Kommunikations-) Situation in einem neuronalen Netz speichern, sondern auch die Emotionen und die Körperempfindungen, die sich aus der Begegnung mit diesem Unternehmen oder dieser Situation ergeben haben. Die PR haben dies bisher kaum beachtet. Die Bezugsgruppen speichern die Bewertung der Kommunikation mit dem Unternehmen ab und greifen im Bedarfsfall sehr schnell darauf zurückgreifen, zum Beispiel dann, wenn sie entscheiden sollen, ob sie die Kommunikation mit dem Unternehmen fortsetzen oder nicht. Ist die bisherige Kommunikation unbefriedigend verlaufen, ist die Gefahr groß, dass die Bezugsgruppen weniger oder kein Interesse haben, die Kommunikation fortzusetzen. Die PR sollten daher unbedingt die bisherigen Erfahrungen der Bezugsgruppen in den PR berücksichtigen.

Für die PR interessant ist auch eine bestimmte Eigenschaft des Gehirns: die Fähigkeit zur Komplettierung: Mit fortschreitender Bahnung des neuronalen Netzes kann das Erregungsmuster immer einfacher von ganz verschiedenen Stellen aus und mit immer weniger An­haltspunkten aktiviert werden. Ein Reiz genügt, um das gesamte Netzwerk zu aktivieren: Zum Beispiel reicht der Anblick des BMW-Logos aus, um alle Assoziationen mit dem Unternehmen anzustoßen – also auch die mit dem Unternehmen verbundenen Gefühle, wenn diese zuvor erlebt wurden. Roth schreibt: „Es genügen zum Teil nur Bruchstücke von aktuellen Sinnesdaten, um in uns ein vollstän­diges Wahrnehmungsbild zu erzeugen, das dann gar nicht von den Sinnesorganen, sondern aus dem Gedächtnis stammt“ (Roth 1996, S. 267). Hierin liegt aus Sicht der PR aber auch eine Gefahr: Wenn es einem Unternehmen nicht gelingt, eindeutige Reize zu vermitteln, die seinem Netzwerk zugeordnet werden, könnte dies ein anderes Netzwerk aktivieren. Beispiel: Wenn in einer Branche eine Eigenschaft von mehreren Unternehmen beansprucht wird, zum Beispiel „innovativ“ zu sein, könnte es leicht geschehen, dass der wahrgenommene Reiz das Netzwerk des Konkurrenten aktiviert. Ein Unternehmen sollte daher bestrebt sein, wäre die Konsequenz, Begriffe zu besetzen und Reize zu vermitteln, die seine Bezugsgruppen schnell und eindeutig dem Unternehmen zuordnen – und nur diesem. Diese Forderung wird im Marketing bereits formuliert worden: „Austauschbare Codes aktivieren immer auch die Netzwerke der Wettbewerber oder gar ganz anderer Marken. In jedem Fall ist das Ergebnis Wirkungsverlust und Verwässerung der eigenen Marke. Markenkommunikation muss deshalb kontraststarke Codes nutzen.“ (Scheier/Held, 2006, 142)

Insgesamt liefern die Erkenntnisse der Neurowissenschaften den PR wichtige Hinweise darauf, wie ein Unternehmen im Gehirn seiner Bezugsgruppen repräsentiert ist und wie sich das Gehirn organisiert. Ein Unternehmen kann diese Erkenntnisse einen mitunter essenziellen Beitrag für den Aufbau und die kontinuierliche Entwicklung des neuronalen Netzwerkes in den Köpfen seiner Bezugsgruppen anzulegen. Eine weitere Erkenntnis ist, dass PR ihr physiologisches Korrelat haben, das messbar ist. PR können aus neurowissenschaftlicher Sicht daher als Gestaltung von neuronalen Netzwerken der Bezugsgruppen bezeichnet werden. Gleichzeitig eröffnen diese Erkenntnisse wichtige Hinweise für den Nachweis der Wirkung der PR, die als Veränderung ebendieser neuronalen Netzwerke gesehen werden können.

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Der Autor: Prof. Dr. Dieter Georg Herbst ist Geschäftsführer der source1 networks GmbH. Er ist Honorarprofessor an der Universität der Künste Berlin und dort auch Leiter des Master-Studiengangs „Leadership in Digitaler Kommunikation“. Herbst unterrichtet außerdem in St. Gallen (Schweiz), Shanghai (China), San Francisco (USA), Bangalore (Indien) und Rio des Janeiro/Sao Paolo (Brasilien). Er hat 16 Bücher über Markenführung und Kommunikation geschrieben.