Tanja Köhler: Krisen-PR im Internet. Nutzungsmöglichkeiten, Einflussfaktoren und Problemfelder. – Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2006 (= Reihe: Organisationskommunikation. Studien zu Public Relations/Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikationsmanagement), 412 Seiten, Eur 44,90.
Erschienen in: Publizistik, März 2007, Jahrgang 52/2007, Ausgabe 1/2007, Seite 108
Theoretiker und Praktiker sind sich einig, dass Krisen in den vergangenen Jahren in allen Branchen an Bedeutung gewonnen haben. Einig sind sie sich auch darin, dass sich das Internet zum festen Bestandteil in der Kommunikation von Unternehmen entwickelt hat. Und Frank Roselieb, Leiter des Krisennavigator-Instituts für Krisenforschung, weist darauf hin, dass seit Mitte der 1990er Jahre fast jeder von ihm erfasste Krisenfall direkt oder indirekt mit dem Internet verbunden ist. Was bislang fehlte, war eine ausführliche wissenschaftliche Untersuchung darüber, welche Potenziale und Grenzen das Internet für Krisenprävention und Krisenbewältigung bietet, sowie darüber, wie PR-Praktiker das Internet für deren Krisen-PR tatsächlich nutzen. Diese Lücke zu schließen, hat sich Tanja Köhler in ihrer rund 400-seitigen Dissertation vorgenommen.
Theoretisch geht sie das Thema – einer Doktorarbeit angemessen – sehr breit an: Bevor sie auf Seite 173 zum eigentlichen Thema »Onlinegestützte Krisen-PR« kommt, stellt sie ausführlich die erforderlichen Grundlagen vor: Krise (Definition, Krisenmanagement), öffentliche Anliegen (Begriff Öffentlichkeit, Entwicklung und Verlauf öffentlicher Anliegen, Anspruchsgruppen), Krisen-PR (Begriffsbestimmung, PR-Konzepte im Krisenkontext, PR und Journalismus, Glaubwürdigkeit und Vertrauen) und Internet (Historie, Instrumente, Nutzung und Nutzerbeteiligung, Proteste im Internet). Vor diesem Hintergrund diskutiert sie differenziert die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen der Krisen-PR im Internet.
Im empirischen Teil der Arbeit stellt die Autorin die Ergebnisse ihrer Befragung von neun PR-Vertretern aus den 30 größten Dax-Unternehmen vor, die sie 2004 mit teilstandardisierten Leitfadeninterviews durchführte (fünf Fragenkomplexe, 55 Einzelfragen). Was zu erwarten war, hat die Befragung bestätigt: Zwar erkennen die befragten Unternehmensvertreter die Gefahren von Krise und betonen in diesem Zusammenhang die Bedeutung dialogorientierter Kommunikation, doch nutzen sie hierfür das Internet nur unzureichend und unsystematisch. Zu den Verdiensten der Arbeit gehört es, nach den Gründen hierfür zu fragen und sich mit diesen ausführlich und kritisch zu beschäftigen.
Zu bedenken ist allerdings, dass es sich um neun der größten Dax-Unternehmen handelt, was das Interesse von Mittelständlern an den Ergebnissen der Studie einschränken könnte. Insgesamt ist das Buch eine fundierte, umfangreiche und solide Bestandsaufnahme. Mittlerweile hat sich das Internet jedoch schon deutlich weiterentwickelt, so dass zumindest ein Ausblick sinnvoll gewesen wäre – auch um weiteren Forschungsbedarf aufzuzeigen. So muss der Leser einerseits zu den Anfängen des Internets (ARPANET) zurückkehren und sich mit den Grundlagen der »Kommunikationsmodi« WWW, E-Mails und Chats beschäftigen; andererseits fehlen Hinweise auf die Bedeutung von Web 2.0 und die damit verbundene stärkere Nutzerbeteiligung durch Weblogs, Wikis, Foto- und Videoplattformen etc., die schon heute die Krisen-PR von Organisationen und Unternehmen beeinflussen. Diese Entwicklungen in ihrer Bedeutung für Theorie und Praxis zu untersuchen, bleibt weiterführenden Studien vorbehalten.
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