Digital Brand Storytelling: Je mehr Interaktivität, desto besser?

Viele digitale Medien lassen sich für das Digital Brand Storytelling nutzen, zum Beispiel interaktive Schautafeln

„Interaktivität ist ja so ein Schlagwort. Vielleicht wollen das viele Leute gar nicht.“ (Jörg Pilawa zweifelt auf Tagesspiegel.de angesichts der Misserfolge von „Rising Star“ und Co am Einsatz von Apps im TV)

Je mehr, desto besser?

Autoren aus Wissenschaft und Praxis zum Interactive Storytelling und Digital Brand Storytelling scheinen sich weitgehend einig zu sein, dass möglichst viel Interaktivität anzustreben ist. Kurz: Je mehr Interakvität, desto besser (vgl. Ryan, 2006, Page und Thomas, 2011). Es gibt jedoch auch einige Gründe, die den Einsatz von Interaktivität im Digital Brand Storytelling einschränken:

  • Interaktivität kann das Eintauchen in die Geschichte bremsen bzw. verhindern. Das Eintauchen in eine Geschichte oder ein Videospiel wird immer wieder im Zusammenhang mit dem Flow-Begriff diskutiert (z.B. McGonigal, 2011). Der Begriff „Flow“ stammt von Csikszentmihalyi (1975, 1990
[1]). Er bezeichnet das völlige Aufgehen in einer glatt ablaufenden Tätigkeit. Es sei, als würde die Zeit stehenbleiben, nichts außer der aktuellen Tätigkeit hat mehr Bedeutung, und es fehlt das Gefühl, wie lange das Erlebnis gedauert hatte. Wichtig für Flow ist die Herausforderung: Ist sie zu groß, ist der Nutzer überfordert; ist sie zu gering, ist der Nutzer gelangweilt. Fehlt die Herausforderung, wird der Nutzer teilnahmslos. Regelmäßige Erfolgserlebnisse und damit erzeugte positive Emotionen hingegen unterstützen das Flow-Erleben.
  • Interaktivität und Hypermedialität können das Eintauchen in die Geschichte behindern, wenn die Nutzer immer wieder über Orte, Personen und Handlungen der Markengeschichte entscheiden sollen. Der Nutzer wird immer wieder daran erinnert, dass er einer digitalen Welt und einer Markengeschichte folgt. Die Studie von Miall und Dobson 2001 weist darauf hin, dass Hypertext das Eintauchen in die Geschichte unterbricht (Miall undDobson, 2001).
  • Weitere Hinweise für die Grenzen von Interaktivität zeigt die aktuelle Forschung über Entscheidungen: Demnach steigen mit der Zahl der Entscheidung nicht zwangsläufig die Zufriedenheit der Menschen und die Qualität der getroffenen Entscheidungen (Gigerenzer, 2008). Zu viele Entscheidungen können überfordern (Kast, 2013).
  • Für das gründliche Prüfen des Einsatzes von Interaktivität spricht auch folgendes Argument: Eine Geschichte hat einen Autor. Der Autor weiß, was eine Geschichte ist, wie sie erzählt wird und was Spannung erzeugt. Weiß dies auch der Nutzer?[2] Wie also soll er eine Geschichte über die Marke Activia erzählen, wenn er hierfür keine Anleitung hat? Ist das Ergebnis überhaupt eine Geschichte oder vielmehr eine Erfahrung? Und wie soll der Nutzer zwischen  mehreren Optionen im Verlauf der Geschichte entscheiden, wenn er die Konsequenz dieser Entscheidung nicht kennt? Und: Was geschieht, wenn der Nutzer eine andere Option auswählen will, als der Autor vorsieht?
  • Die Wissenschaft untersucht diese Fragen für das Digital Brand Management bisher kaum, doch zeigt die Praxis, dass hier höchste Vorsicht geboten ist.[3] So informativ, spannend und interessant Digital Brand Storytelling sein kann – es sollte Bezugsgruppen-gemäß inszeniert sein: Geschichten sollten weder überfordern noch unterfordern. Geschichten werden bisher so erzählt, dass sich die Zuhörer zurücklehnen, also passiv sind, und sich die Geschichte erzählen lassen; in digitalen Medien können die User aktiv werden, doch ist künftig zu klären, ob sie das überhaupt wollen und, wenn ja, wie dies konkret umzusetzen ist. ____ [1] Auch andere Autoren beschreiben dieses Phänomen: Green und Brock (2000) sprechen von „Transportierung“: „Transportierung“ bezeichnet das Ausmaß, in dem sich ein Individuum in eine Geschichte hineinversetzt und sich in ihren Struk­turen und in ihren Inhalten „verliert“ (Vgl. Davis, 1983, S. 114; Green und Brock, 2000, S. 701). Es handelt sich um einen Zustand, der – ähnlich wie andere kognitive Zustände – in einer mehr oder weniger starken Intensität empfunden werden kann: Je inten­siver sich Individuen in die Inhalte einer Erzählung hineinversetzen, desto größer ist das Ausmaß der „Transportierung“ (vgl. Green und Brock, 2000, S. 701 ff.). [2] Ein anschauliches Beispiel von Glassner (2004): Was geschieht, wenn ein Nutzer über einen Konflikt entscheidet? Er würde womöglich den Feind/Bösewicht beseitigen, doch dann würde die Geschichte an Spannung verlieren. [3] Zum Beispiel weist Glassner (2004) auf Erfahrungen im Gaming hin, die zeigen, dass sich solche Spielhandlungen nicht breit durchgesetzt haben.