Die Bedeutung von Texten hat in den vergangenen Jahren dramatisch abgenommen: Nur noch 20 Prozent der Leser einer Zeitung lesen einen Artikel über den ersten Absatz hinaus. Bücher scannen wir eher als dass wir sie aufmerksam lesen. Von einer Anzeige beachten wir nur 2 Sekunden lang das Bild und die Überschrift, den Text lesen wir fast nie. Statt dessen sind Bilder in allen Bereichen des täglichen Lebens immer wichtiger geworden:

  • Zeitungen und Zeitschriften: Die New York Times und der Focus haben schon früh Bilder und Infografiken umfangreich und erfolgreich genutzt, um Informationen leserfreundlich aufzubereiten. Mittlerweile haben viele Zeitungen und Zeitschriften nachgezogen, wie Die Zeit, das Wallstreet Journal und Der Spiegel. Elke Grittmann, Doktorandin über Pressefotografie, schreibt: „Wer im neuen Jahrtausend durch die bundesdeutschen Tages- und Wochenzeitungen blättert, erhält … den Eindruck, der Fotojournalismus befinde sich in einem Aufschwung. Noch nie wurden so viele Bilder gedruckt, noch nie so viel Platz für die visuelle Berichterstattung eingeräumt.“ (Grittmann, 2003, 131). Die Praxis zeigt, dass für den Verkauf von Zeitungen und Zeitschriften besonders stark das Titelbild verantwortlich ist.
  • Fernsehnachrichten: Ein Vergleich der Nachrichtensendungen der letzten Jahren zeigt deutlich, wie Bildkommunikation die Sprachkommunikation ergänzt: Mittlerweile sind sämtliche Meldungen in Tagesschau und Heute Journal mit Filmbeiträgen bebildert, mindestens aber durch ein Foto, das neben dem Nachrichtensprecher zu sehen ist und das den gesprochenen Text lebendiger und interessanter machen soll. Bilder werden zentral für die Nachrichtenauswahl – deren Verfügbarkeit erhöht die Chance, dass die Nachricht gesendet wird. Der Moderationsdauer nimmt ab, der Anteil an Filmbeiträgen und „Nachrichten im Film“ (NiF) steigt. Die Moderatoren verankern als Anchorman und Anchorwoman den Sender auch visuell bei den Zuschauern. Die Studios sind durch den belebten Hintergrund attraktiver geworden – das sogenannte „On-Air-Design“ des Senders wird zu seinem visuellen Unterscheidungsmerkmal. Thomas Schierl erklärt dies so: „Medien müssen sich und ihre Programme – gerade in einem Bereich hohen Wettbewerbs – gegen Konkurrenten mit einem mehr oder weniger austauschbaren Angebot differenzieren. Eine Möglichkeit der Differenzierung besteht beispielsweise in einer spezifischen Ästhetisierung von Medienangeboten bzw. Bildern innerhalb eines vorgegebenen Corporate Designs.“ (Schierl, 2003, 161).
  • Bücher: Der Wettbewerb „Die 50 schönsten Bücher“ zeigt die stark steigende Zahl von Fach- und Schulbüchern, die neben Texten auch Fotos und Informationsgrafiken einsetzen. Das erste Bild des Betrachters vom Inhalt entstehen bereits durch Umbruch, Weißfläche, Typografie, Einband und Umschlag (www.stiftung-buchkunst.de).
  • Internet: Das Internet ist stark optisch geprägt durch Fotos, Grafiken, Banner, Icons, Logos, grafische Navigation. Ein Grund ist, dass das Lesen von Texten im Internet um 25 Prozent schwerer fällt: Die optische Aufbereitung ermöglicht Orientierung in der Informationsflut und erleichtert die Textaufnahme. Die visuelle Ausrichtung des Internet zeigt sich auch in seiner Multimedialität, also dem Verknüpfen von Text, Bild und Ton. Massenmedien im Internet sind visuell geprägt, zum Beispiel NBC News (http://msnbc.msn.com).
  • Politik: Die Politik ist in den vergangenen Jahren wesentlich visueller geworden. Beispiele sind die TV-Duelle in Wahlkämpfen sowie der erste und der zweite Irak-Krieg, dessen Berichterstattung durch gezielte Bildauswahl den Eindruck eines „sauberen“ Krieges erwecken sollte. Die Studie „Kampa – Meinungsklima und Medienwirkung im Bundestagswahlkampf 1998“ kommt überspitzt gesagt zum Ergebnis, dass die Massenmedien Gerhard Schröder zum Kanzler gemacht haben.

 

Aufgrund dieser stark zunehmenden visuellen Ausrichtung als allgemeiner Gesellschaftstrend, also keinesfalls nur in der Werbung, sprechen Experten von der „visuellen Zeitwende“ (Iconic Turn), die auf das Zeitalter der gesprochenen und der geschriebenen Sprache folgt.