Ziele gelten im Digital Leadership als wichtiger Motivator für Führungskräfte und Mitarbeitende. Funktioniert das immer und bei jedem? Erkenntnisse der Persönlichkeitspsychologie zeigen: Ob Ziele wirken, hängt von der Persönlichkeit ab.

Ziele sollen motivieren

Ziele gelten gemeinhin als Motivator für Führungskräfte und Mitarbeitende. Dies wird als „Management by Objectives“ bezeichnet. Für die Formulierung von Zielen wird das SMART-Prinzip empfohlen. SMART ist die Abkürzung von

  1. Specific: eindeutig formuliert und nicht vage
  2. Measurable: Ziele sollten messbar sein
  3. Accepted: ansprechend und erstrebenswert
  4. Realistic: realistisch
  5. Time Bound: in einem bestimmten Zeitraum erreichbar

Ein SMART-Ziel muss alle fünf Bedingungen erfüllen, um wirkungsvoll zu sein.

Aber motivieren solche Ziele jeden Menschen, unabhängig von individuellen Persönlichkeitsmerkmalen?

Neues entdecken und lernen kann starker Motivator sein (Foto: Herbst)

Was sagt die Persönlichkeitstheorie von Julius Kuhl?

Die Antwort liefert die Theorie der Persönlichkeits-System-Interaktionen (PSI-Theorie) von Julius Kuhl, Professor für Psychologie an der Universität Osnabrück. Seine Theorie der willentlichen Handlungssteuerung geht von 4 Funktionssystemen aus: Das Selbst, der Verstand, die intuitive Handlungsausführung, der Fehlerzoom. Das Zusammenspiel der Funktionssysteme ist dafür verantwortlich, wie wir wahrnehmen, denken, fühlen und handeln.

Die Funktionssysteme

Selbst

Unser Selbst ist aktiv, haben Zugriff auf unsere gesamten Lebenserfahrungen. Wir haben ein gutes Gespür dafür, was uns gut tut und vermeiden automatisch Situationen, die uns belasten können.

Wir sind entspannt und träumen von neuen Abenteuern und entwickeln neue Projekte. Uns fallen spontan Lösungen ein, nach denen wir vielleicht schon seit Wochen suchen. Während wir vor uns hinträumen, entwirft unser Gehirn die abenteuerlichsten Vorschläge, Überlegungen und Kombinationen, verwirft sie wieder und kreiert neue, ohne dass wir dies bewusst steuern.

Wenn wir uns im Funktionssystem des Selbst aufhalten, können wir sehr gut mit Stress umgehen und negative Gefühle schnell und nachhaltig bewältigen. Wir spüren eine angenehme Zufriedenheit mit uns und unserem Leben.

Der Verstand

Mit diesem Funktionssystem planen wir. Unser Verstand übernimmt die Steuerung unseres Denkens und Handelns. Dies führt dazu, dass wir zurückhaltend sind und nüchtern vorgehen. So können wir Vorhaben planen und solange aufschieben, bis der richtige Moment zum Handeln gekommen ist. Wir nehmen uns die Zeit, um alles genau zu überdenken. Erst wenn wir sich sicher sind, dass wir alle Aspekte und alle Details berücksichtigt haben, schreiten wir zur Tat.

Langfristige Planungen sind für uns kein Problem. Wir verlieren Vorhaben, die wir nicht sofort umsetzen können, nie aus den Augen. Langfristig große Vorteile ziehen wir den kurzfristig kleinen Vorteilen vor.

Die intuitive Handlungsausführung

In diesem Funktionssystem geht es uns gut, wir haben klasse Laune. Wir sind freudig und tatkräftig. Kaum etwas kann uns aufhalten. Wir sind begeisterungsfähig und haben viel Handlungsenergie. Uns gelingt durch Zugriff auf viele gelernte und automatisierte Verhaltensweisen, unsere Vorhaben in die Tat umzusetzen.

Langeweile ist uns fremd. Unser Leben scheint zu kurz für Nachdenken und Abwarten – wir probieren lieber gleich aus. Allerdings ist auch unser Zugang zum Verstand geschwächt und damit zu planvollem Vorgehen. Gerade bei grösseren Projekten wäre dies wichtig, bei denen wir nicht auf Routinen zurückgreifen können. Es fällt uns schwer, mit einer Handlung bis zum richtigen Zeitpunkt abzuwarten – langfristige Vorhaben und vorausschauende Planung lassen sich aber nur mit dem Verstand gut bewältigen.

Der Fehler-Zoom (Objekterkennung)

Mit diesem Funktionssystem können wir Dinge sorgfältig durchdenken, zum Beispiel Fehler und Misserfolge. Wie konnte es so weit kommen? Was hätte ich anders tun können? Wie werde ich mich künftig verhalten? In dieser Situation sind wir oft ängstlich und besorgt. wir grübeln über die Einzelheiten des Geschehens. Sogar wenn wir abends nach Hause kommen, bleibt diese schlechte Stimmung bestehen, wir sind gereizter und kleinlicher als üblich, alles fällt uns auf, jede noch so kleine Kleinigkeit, über die wir uns dann ärgern können.

Der Zugang zu unserem Selbst funktioniert hier nicht, weil wir schlecht gelaunt sind. Wir haben nicht den sonst so ausgedehnten Zugang zu unseren persönlichen Bedürfnissen, den unser Selbst vermittelt. Auf Dauer kann unser Gespür verloren gehen, was uns gut tut und was abträglich für unser Wohlbefinden ist.

Wie spielen diese Systeme zusammen?

Jeder Mensch verfügt über alle vier Funktionssysteme, arbeitet jedoch bevorzugt mit nur einem oder zwei der vier Funktionssysteme. Optimal ist, wenn wir auf alle vier Funktionssysteme gleichermaßen schnell und zuverlässig zugreifen können.

  • Der Verstand plant sorgfältig unser Ziel, das zu uns und unserem Leben passt. Dieses Ziel wird an das nächste System weitergespielt.
  • Das Intensionsgedächtnis erstellt einen Handlungsplan, also was wir tun und wann.
  • Die intuitive Handlungsausführung setzt den Plan des Intensionsgedächtnisses in die Tat um. Sie stellt die Handlungsenergie bereit und automatisiert die Handlung wie beim Autofahren.
  • Der Fehlerzoom prüft kritisch, ob wir das Ziel erreichen. Bei einer Abweichung informiert der Fehlerzoom den Verstand, der weitere Planungen vornimmt.

Dieses Video erklärt sehr gut den Zusammenhang der vier Funktionstypen für die Handlungsplanung (Quelle: PAWLIK Consultants GmbH)

Was motiviert welches System?

Jede der vier Funktionstypen hat eine eigene Art und Weise, wie es motiviert werden kann:

  • Intuitive Handlungsausführung: Am besten ist hier das Vormachen (Lernen am Modell) wie im Fall des Trainers, der dem Tennisspieler die richtige Haltung des Schlägers zeigt.
  • Fehlerzoom: Motivierend ist hier die Aufforderung, Fehler unbedingt zu vermeiden.
  • Selbst: Das Selbst ist durch allgemeine Ziele zu motivieren, wie das Erhöhen der Erfolgsquote.
  • Verstand: Dem Verstand können wir konkrete (SMART-)Ziele setzen.

In diesem Video erklärt Julius Kuhl die Motivation der unterschiedlichen Funktionstypen (Quelle: Kommunariko)

Fazit

Die PSI-Theorie von Julius Kuhl zeigt, dass SMART-Ziele lediglich einen der vier Funktionstypen anspricht. Die anderen drei benötigen andere Handlungsanreize.

Die PSI-Theorie ermöglicht, die vier Funktionstypen gezielt und wirkungsvoll anzusprechen. Aufgabe ist es daher, diese Funktionstypen und deren Zusammenspiel in uns, unseren Mitarbeitenden kennen zu lernen und gezielt zu stimulieren.

Quellen

Kuhl, J (2001): Motivation und Persönlichkeit. Interaktionen psychischer Systeme. Göttingen.

Kuhl, J.: Eine neue Persönlichkeitstheorie. PDF

Rheinberg, F. / Stiensmeier-Pelster, J. (2003) (Hrsg.): Diagnostik von Motivation und Selbstkonzept. Göttingen.

Heckhausen, H (2006): Motivation und Handeln. Berlin.