Von Barbara A. Karanian

Prof. Dr. Barbara A. Karanian lehrt Mechanical Engineering Design an der Stanford University in Kalifornien, USA.

Dieser Beitrag erschien in der 3. Ausgabe in der 3. Auflage im UVK Verlag Konstanz.

In den letzten Jahren ist es auch für Existenzgründer immer wichtiger geworden, mit Stories über ihr Unternehmen zu informieren und Begeisterung bei Investoren, Mitarbeitern, Kunden und Journalisten zu wecken. Dies ist oft schon in frühen Entwicklungsstadien der Produkte sinnvoll oder sogar nötig; jedoch ist dann meist noch unklar, ob die Entwicklung erfolgreich sein wird.

Ich berichte von meinen Forschungsergebnissen aus einem Doktorandenseminar – darüber, wie Existenzgründer, Designer und Ingenieure mit ihren eigenen Geschichten aus der frühen Gründungszeit umgehen: Geschichten über Ideen, geheime Projekte und Firmengründungen, die allesamt auf nachhaltige Veränderungen (Transformation) abzielen. Aus diesen Geschichten können wir viel über Unternehmer lernen: Sind diese Geschichten über Anfänge und Wandel von Unternehmen und Produkten spannend und begeisternd, lassen sie sich in den PR erzählen. Die Kernfrage lautet daher: Welche Erfolgsfaktoren braucht es, damit solche Geschichten erfolgreich sind?

Die Vision hinter dem Projekt

„Welche Vision steht hinter deinem Projekt?“ Egal wen man fragt – nie erhält man darauf eine klare Antwort. Stattdessen hört man eine Geschichte. Diese Geschichten ähneln sich: Designer und Ingenieure erzählen uns, wie sie schon früh für den Erfolg gekämpft haben, von Freude und Frust bei serieller Prototypentwicklungen, von ihren mehr oder weniger erfolgreichen Versuchen, andere für ihre Ziele zu gewinnen und dem Abwägen von Ideen – alles in der Hoffnung, andere von ihrer Gründungsidee und ihrem Vorhaben zu überzeugen.

Einige dieser Geschichten sind klar und nehmen ein – sie bringen die Vision des Projekts auf den Punkt und transportieren sie. Die meisten Geschichten sind jedoch unklar: Das Publikum versteht das Geschehen nicht und kann sich nicht mit ihm identifizieren. Dies schafft kommunikative Barrieren, die verhindern, dass andere die eigenen Ziele verstehen und helfen, diese umzusetzen. Dieser Beitrag zeigt, was Stories so wirksam macht, dass sie dem Unternehmer nützen.

Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf wirkungsvollem „Spotlight“-Storytelling, das kreative Fortschritte ermöglicht. Gelingende Kommunikation zwischen Designern, Ingenieuren und Anwendern ist eine dauerhafte Herausforderung für Gründer und Unternehmer. Vertreter dieser Gruppen weisen nämlich Unterschiede in Vorstellungen, im Vokabular und ihrem Denken über sich selbst und andere auf. Dies führt zu Problemen (Stefik & Stefik, 2004; Leifer, 2005):

1. Geschichten, die nicht die Vision reflektieren, können das Publikum, aber auch den Unternehmer selbst in die Irre führen.

2. Unternehmer, die vor und während der Entwicklungsphasen eines Projekts keine überzeugende Geschichte erzählen können, schaffen es nicht, alle Beteiligten auf eine gemeinsame Vision einzuschwören.

3. Ineffektive Geschichten halten Unternehmer davon ab, mit dem Anwender zu kommunizieren und verwandeln Austausch in Monolog.

Beispiele für missglückte Geschichten

Zunächst einige Beispiele missglückter Geschichten aus meinem Storytelling-Seminar an der Stanford-Universität – Fälle, in denen es nicht gelingt, Verständnis für die eigenen Beweggründe zu gewinnen und so das Vermögen zu entwickeln, andere zu mobilisieren und in das eigene Vorhaben einzubinden:

a. Forschungsergebnisse belegen geschlechtsspezifische Unterschiede im Storytelling (Clark, et al., 2008; Chachra & Kilgore, 2009): Elizabeth, Studentin der technischen Informatik, erklärt, wie die Fähigkeiten von Frauen oft unterschätzt werden: „Ich habe den Eindruck, dass – bei gleichem Wissensstand – eher Männern als Frauen zugehört wird” (Chachra, D. et al. 2008). Dieses immer noch bestehende Geschlechtervorurteil scheint starken Einfluss auf die Erfolgseinschätzung eines Projektes durch andere zu haben – unabhängig von der Realität. Eine Erfahrung, die viele Unternehmerinnen wie Elizabeth beim Versuch, von ihrer Vision zu überzeugen, machen müssen.

b. Inspiriert von seiner Faszination für Eidechsen hat Sam einen Roboter entworfen und gebaut. Als er seine Erfindung in einer Fernsehshow in New York City vorstellte, waren zwar die Eidechse und der Roboter auf Sendung, nicht aber Sam. Er kam nicht vor, weil er keine überzeugende Geschichte zu erzählen hatte, und fühlte sich letztendlich von seiner Erfindung entfremdet.

c. Die Designerinnen Candace und Emma wollten Haushalte durch kleine Sonnenkollektoren mit Energie versorgen. Obwohl das Designerinnen-Duo ähnliche Motive und Vorstellungen hatte, konnten die beiden keine gemeinsame Vision entwickeln. Das Projekt scheiterte.

d. Ramy, Unternehmensgründer und Führungspersönlichkeit, arbeitet an der Schnittstelle von Hollywood und Silicon Valley. Für ihn scheinbar die perfekte Situation: ein professioneller Storyteller umgeben von professionellen Storytellern – führenden Production-Designern, Filmemachern und Meistern digitaler Spezialeffekte.Trotzdem gelang es ihm nicht, eine Geschichte so zu erzählen, dass er seine kreativen Kollegen für sein neuestes Projekt gewinnen konnte.

e. Gardner, erfolgreiche Führungskraft der ersten Stunde in einem bekannten, weltweit agierenden E-Commerce-Unternehmen, unterstützt als Business Angel neu gegründete Firmen. Er macht sich Sorgen, dass sich einer der Gründer, die er berät, im operativen Geschäft verliert und dabei versäumt, Kommunikation zur obersten Priorität zu machen. Gardner entwickelt sich zunehmend zu einem frustrierten Investor, währen der Gründer seine Chance aufs Spiel setzt, geeignete Mitarbeiter zu finden und sein Team auszubauen.

f. Minna macht gerade ihren Ph. D. und möchte ein Start-up-Unternehmen gründen. Sobald es an der Zeit ist, ihre Geschichte zu erzählen oder ihre Ideen zu präsentieren, würde sie am liebsten fluchtartig den Raum verlassen. Sie macht sich Sorgen, dass ihr Storytelling zu viele Schwachstellen aufweist.

Zwei Leitfragen für erfolgreiche Geschichten

Leider ist bisher wenig darüber bekannt, was für Designer, Ingenieure und Unternehmer eine wirkungsvolle Geschichte ausmacht. Daraus ergeben sich zwei Leitfragen:

Frage 1: Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede weisen Geschichten auf, die andere involvieren? Wer sind die erfolgreichen Kommunikatoren?

Frage 2: Wie lassen sich die Ergebnisse aus Frage 1 mit Theorien für erfolgreiches Storytelling kombinieren, damit Geschichten entstehen, die kreatives Handeln bewirken?

In unserer Forschung zeigt sich, dass effektives Storytelling bei den oben genannten Problemen wie folgt ansetzen kann:

a. Erzählungen wie die von Elizabeth machen Bewältigungsmechanismen und -strategien deutlich, die Selbstvertrauen und Durchhaltevermögen im Ingenieursbereich fördern. Mit dem Storytelling-Ansatz beschrieb Elizabeth, wie ihre Beobachtungen zur Ungleichbehandlung von Männern und Frauen dazu führten, dass sie „wie ein Mann“ auftrat. Sie legte weniger Wert auf die Wahrnehmung anderer und brachte sich durch mehr Fragen stärker in ihre Seminare ein (Chachra, et al., 2008).

b. Sam dagegen gelang es, seine emotionalen Verletzungen durch die TV-Sendung zu artikulieren. Dankbar beschreibt er, wie er im Rahmen eines Designmethoden-Seminars zu seiner neuen Geschichte kam: „Ich ging ganz an den Anfang zurück – zu dem Punkt vor vielen Jahren, als ich die Hoffnung hatte, einen Eidechsen-gleichen Roboter zu bauen.“ Durch Storytelling fand er die Leidenschaft für sein Projekt wieder.

c. Candace und Emma lernten durch die Storytelling-Methoden, „eine überzeugende Geschichte zu erzählen und unsere gemeinsame Reise bereits in den ersten Momenten der Forschung und Projektkonzeption zu verstehen. Sie haben uns Werkzeuge und Erzählverfahren an die Hand gegeben, mit denen wir die emotionale Seite klären konnten.“ Das Ergebnis: exquisite, blütenblattartige Sonnenkollektoren, die man an Balkonen anklemmen kann. In einem europäischen Designwettbewerb gewann das Projekt einen mit 100.000 Euro dotierten Preis und erhielt zusätzlich 80.000 Dollar für die Projektentwicklung.

d. Ramy und Gardner reagierten ähnlich auf die Erkenntnis, dass effektive Kommunikation bedeutet, Geschichten zu kreieren und zu erzählen. Geschichten verbinden Menschen mit Ideen – ihren eigenen und fremden. Sie spürten die Kunst des Geschichtenerzählens zwar den gesamten Kurs hindurch, aber die Einsicht in die Bedeutung des Standpunkts ‚Du weißt, dass dein Storytelling wirklich funktioniert – Leerstellen zu lassen ist eine Kunst und Du musst nicht am Anfang beginnen, um die ganze Geschichte zu erzählen“ – wirkte wahre Wunder. „Das half mir, eine strategische Partnerschaft aufzubauen“, sagt Ramy.

e. Minna ist überrascht zu hören, dass die innere Angst, schon in den ersten Momenten ins Stocken zu geraten, für ihre Geschichte sogar förderlich sein kann. Sie hat sich dieser Angst gestellt und dadurch gelernt, dass viele hochgradig überzeugende Geschichten Schwachstellen in der Präsentation aufweisen. Ihre Arbeit in den Storytelling-Sitzungen zeigt, dass der bewusste Einsatz von Verletzlichkeit die Zuhörer stärker involviert (Karanian, Askandari, Liao & Ahmed, 2013).

Auch wenn uns damit aussagekräftige Ergebnisse vorliegen, stehen wir in der Entwicklung des Trainings für Designer, Ingenieure und Unternehmer in wirkungsvollem Storytelling erst am Anfang. Inspiriert werden wir dabei von Menschen (Anwendern), die fabelhaft Geschichten erzählen können – ohne oder mit nur wenig Übung. Andererseits glauben wir daran, dass andere das mit ein wenig Training auch können; manchmal sogar besser (Dweck, 2006).

Unsere bisherigen Ergebnisse bieten eine klar strukturierte Ausdrucksmöglichkeit, die den Entwicklungsprozess und das kreative Handeln fördert (Karanian, Kress, & Sadler, 2009), Reflexion unterstützt (Rodgers, 2002; Schon, 1991; Kolb, 1984) und Engagement und Einsatzbereitschaft bei sich und anderen fördert.

Erfolgsfaktoren von Geschichten

Was macht Geschichten so wirkungsvoll? Wir wissen, dass unser Gehirn für Geschichten gemacht ist (Sternberg, 2008). Stories sprechen uns an. Sie liefern uns die logische Grundlage und Zwangsläufigkeit, auf deren Basis wir uns für Ideen engagieren. Geschichten kreieren ein gemeinsames Vokabular (Mabogunje, 1997) und fördern eine gemeinsame Vision. Und: Geschichten zapfen das episodische und semantische Gedächtnis an und schaffen effektive mentale Modelle. „Habe ich eine Geschichte?“, „Können Sie mir helfen, meine Geschichte zu erzählen?“ oder „Wie fange ich meine Geschichte am besten an?“.

Die fesselndsten Anfänge sind keineswegs immer gut durchdacht. Im Gegenteil, manchmal beginnen gute Anfänge mitten in der Geschichte. Ein Doktorand beschreibt das folgendermaßen: „Für mich geht in den ersten Momenten das größte Zeitfenster auf, in dem der Sprecher eine Beziehung zum Zuhörer aufbauen kann. Es ist dafür einfach die beste Gelegenheit. Wie der Volksmund sagt: ‚Es gibt keine zweite Chance, einen ersten Eindruck zu machen.’ Wenn der Zuhörer früh im Verlauf der Geschichte Empathie für den Sprecher entwickelt, steigt die emotionale Verarbeitung für den Rest der Geschichte. Durch die stärkere emotionale Verarbeitung kann sich der Zuhörer besser an die Geschichte erinnern. Die Kraft der ersten Momente ist umso größer, je stärker sich die Zuhörer schon zu Beginn mit der Geschichte identifizieren.

Der Erzähler kann diese emotionale Bindung am einfachsten aufbauen, wenn er zu seiner eigenen Verletzlichkeit steht. Schwächen sind menschlich, stellen Intensität her und wirken als verbindendes Element zwischen Erzähler und Publikum. Ein guter Erzähler geht ein emotionales Wagnis ein: Er zeigt, wie er sich fühlt, beschreibt Schwachstellen, macht Unsicherheiten spürbar. Sobald ein Storyteller in den ersten Momenten keine Verletzlichkeit zeigte, waren die Zuhörer weniger involviert, denn die Story klang künstlich und eingeübt. Wie kommt es, dass subjektiv empfundene Schwachstellen am Anfang einer Geschichte die Zuhörer ansprechen? Es ist das Gefühl der Ungewissheit, von Risiken und emotionalem Wagnis (Brown, 2012).

Verletzlichkeit erweist sich also als besonders relevant für den Beginn einer Geschichte. Was bedeutet dies für das Erzählen von Geschichten? Studien über effektiven Führungsstil und emotionale Intelligenz (Wagner, 2005; Goleman, 2004) zeigen die Erfolgsfaktoren für das Gelingen von Gründergeschichten:

  • Selbstmotivation und Vision im Hinblick auf persönliche Erfolge: Wie sehr ist jemand bereit, sich über die Maße für eine Sache zu engagieren – unabhängig von der Natur der Aufgabe. Es finden sich Verhaltensweisen im Spektrum zwischen zwei extremen Ausprägungen: einerseits „die Fähigkeit, für Gründe jenseits von Zeit, Geld und Status zu arbeiten” und dies „selbstgesteuert”, andererseits nur „äußerlich gesteuerte“ Interaktionen. Eine positive Ausstrahlung ergibt sich natürlich vor allem mit einem großen Anteil der erstgenannten, intrinsischen Motivation. Begeistern und engagieren Sie sich für Ihre Geschichten. (McClelland, 1964; 1987; Goleman, 2004).
  • Tolerieren einer unvollständigen Geschichte (Ambiguitätstoleranz): Die unterschiedlich ausgeprägte Fähigkeit, mit Unklarheiten in Bezug auf die Arbeit, die Entwicklung des Teams, fehlende Details und unvollständige Logistik im Hinblick auf die Produktlieferung umgehen zu können (Stefik & Stefik, 2006).
  • Intensive soziale Beziehungen: Der Umgang mit anderen fällt Ihnen leicht, Sie können schnell umschalten und sich regenerieren. Sie bleiben mit echtem, spürbarem Einsatz bei der Sache und sind bereit, Ergebnisse zu überarbeiten. Die Arbeit eines Teams hängt von der Kooperation seiner Mitglieder ab; konstante Feedback-Schleifen sind hierfür essentiell – Faszination, Interesse, Begeisterung. Mit echtem Einsatz bei der Sache bleiben. Geschicktes Entwickeln von Beziehungen, aber auch nicht zu perfekt, um authentisch zu bleiben (Taylor & Karanian, 2008).
  • Empathie: In der Lage sein, die emotionale Verfasstheit und das „Wohlfühl-Level“ anderer Menschen zu verstehen; die Fähigkeit besitzen, sich in einen anderen Menschen hineinzuversetzen, zu erfahren, was er empfindet und sein Anliegen entsprechend zu behandeln (Goleman, 2004; Barry, 2007). Empathie ist ein wesentliches Kriterium für das reibungslose Funktionieren einer Zusammenarbeit und die Kommunikation der Beteiligten. Jeder Einzelne muss den Input der anderen wahrnehmen und dafür sorgen, dass sich alle wertgeschätzt fühlen, damit sich die Dynamik positiv entwickelt. Alle vier Konzepte – Selbstmotivation, Ambiguitätstoleranz, intensive soziale Beziehungen und Empathie – hängen mit Verletzlichkeit und damit der Kraft der ersten Momente im Storytelling zusammen (Brown, 2012; Smith & Berg, 1987). Fazit:
  • Wirkungsvolle erste Momente des Storytelling gewinnen die Zuhörer für die Geschichte. Sie werden zu Ankern für die Erinnerung.
  • Die ersten Momente unternehmerischen Storytellings beinhalten ein deutliches Signal von Verletzlichkeit. Es sorgt für die Anteilnahme der Zuhörer und ist ein kaum greifbarer aber umso wichtigerer Aspekt für eine gemeinsame Vision, echten Fortschritt und umsetzbare Resultate.
  • Die unternehmerischen Erfolge und innovativen Ergebnisse von solchen „verletzlichen“ ersten Momenten im Storytelling lehren, früh auftretende Schwachstellen, Hürden und emotionale Wagnisse zu akzeptieren, da sie für die Anteilnahme der Zuhörer an der Geschichte sorgen.

Storytelling und unternehmerisches Denken

Geschichten zu erzählen, lässt sich überall als Routine etablieren. Bitten Sie bei der Arbeit um Folgendes: „Teilen Sie mit mir einen starken Moment in meiner Geschichte.“ Die Ergebnisse werden die Zuhörer involvieren, ihnen ihre eigenen Konstruktionen, Entwürfe und Start-up-Projekte näherbringen und die Gruppe positiv überraschen. Die Ergebnisse unserer Seminarstudien zeigen, dass Storytelling uns aus Unternehmerperspektive auf eine Odyssee aus Kreativität, Ambiguität und Einsatz schickt. Wir kommen als andere Menschen zu unserem Ziel, gestärkt durch die Kraft unserer eigenen Geschichten.