Spiegelphänomene als Wechselwirkungen zwischen Menschen

Durch Spiegelphänomene können Menschen das Denken, Fühlen und Handeln von anderen Menschen innerlich simulieren, also spiegeln. Dies geschieht meist unbewusst, unkontrolliert und von den Beteiligten unbemerkt. Dies lässt sich in der Unternehmenskommunikation ausgezeichnet für die Steigerung von Emotionen der Mitarbeiter, Kunden, Journalisten und anderer Bezugsgruppen nutzen. Wie?

Spiegelphänomene und Events

Spiegelphänomene und Events

Spiegelphänomene schon im Kindesalter

Spiegelphänomene treten schon sehr früh in der Kommunikation zwischen Mutter und Kind auf: Die Mutter öffnet beim Füttern den Mund, damit das Baby dies nachahmt. Zu den Spiegelphänomenen gehört, wenn Menschen Lächeln erwidern; gähnt eine Person, gähnen andere auch. Menschen können andere Menschen mit ihrer Begeisterung anstecken, aber auch mit ihrer Langeweile. Spiegelphänomene sorgen dafür, dass Menschen voneinander lernen können, wenn sie sich nur zuschauen oder gar nur zuhören. Einer der größten Unterschiede zum Selbsterleben scheint die Intensität zu sein: Was Menschen selbst erleben aktiviert Tausende von Sinneszellen, beim Zuschauen feuern nur wenige.

Bedeutung von Spiegelphänomenen

Sobald Menschen miteinander interagieren, bilden sie ein System: Sie nehmen Bezug aufeinander, agieren und reagieren gleichzeitig (Storch/Tschacher, 2014). In dieser Interaktion spielen Spiegelphänomene eine wichtige Rolle: Sie ermöglichen, das zu imitieren und innerlich zu spiegeln, was andere denken und fühlen und wie sie handeln. Ein Beispiel:

Wenn Menschen Emotionen bei anderen Menschen wahrnehmen, reproduzieren sie das beobachtete Gefühl, zum Beispiel Freude oder Ekel, und erleben dieses selbst (vgl. Bauer 2005). Mehr noch: Sie beobachten die Mimik und Gestik ihres Gegenüber und ahmen dies nach: Wenn das Gegenüber lächelt, dann lächeln sie auch, wenn das Gegenüber die Haltung wechselt, wechseln sie auch. Im Lauf eines Gesprächs kann sich dies mehr und mehr annähern. Dies geschieht automatisch und von den Beteiligten meist unbemerkt.

Durch Spiegelphänomene können Menschen andere Menschen mit Emotionen anstecken (Social Contagion), deren Begeisterung, aber auch deren Langeweile oder Ablehnung. Durch Spiegelphänomene können Menschen das Denken, Fühlen und Handeln anderer einschätzen – und sogar über deren künftiges Handeln spekulieren (Theory of mind).

Beispiele für Spiegelphänomene

In der Biologie sind zahlreiche Spiegelphänomene in Gemeinschaften bekannt: Beispiele sind Ameisen, die Staaten bilden, Bienen, die stark ähnliches Verhalten beim der Futtersuche zeigen. Weitere Beispiele sind Fisch- und Vogelschwärme.
Beim Menschen sind Massenphänomene im Militär und im Dritten Reich bekannt und breit diskutiert (z.B. Reich 1986, Freud 1982, Le Bon 1908). Hitler schreibt: „In der Massenversammlung erhält der sich einsam und allein fühlende Mensch zum ersten Mal das Bild einer größeren Gemeinschaft. Wenn ein einzelner Mensch, der sich an seiner Arbeitsstätte recht klein fühlt, zum ersten Male in die Massenversammlung hereintritt und nun Tausende von Menschen gleicher Gesinnung um sich hat, wenn er als Suchender in die gewaltige Wirkung der suggestiven Begeisterung von mehreren Tausend mitgerissen wird, wenn die sichtbare Zustimmung von Tausenden ihm die Richtigkeit der neuen Lehre bestätigen, dann unterliegt er selbst dem zauberhaften Einfluss der Massensuggestion.“ (Hitler 1939, S. 535ff.).

Im Kino sehen die Zuschauer die beiden Protagonisten Leonardo DiCaprio und Kate Winslet, wie sie mit ausgestreckten Armen am Bug der Titanic stehen. Fahrtwind bläst ihnen ins Gesicht. Der Zuschauende meint, die frische Meeresbrise zu spüren. Minuten später: Passagiere versuchen verzweifelt, das sinkende Schiff zu verlassen. Jetzt rast auch das Herz des Zuschauers, bereit zum Sprung ins Meer.

Spiegelphänomene gaukeln vor, die Szenen auf der Leinwand tatsächlich zu erleben (Storch/Tschacher, 2014). Die Zuschauer reagieren beim Beobachten so, als würde sie selbst handeln. Ein Blick in die Gesichter der Stars ermöglicht ihnen, „die Emotionen der Figuren genau zu erfassen und sich in sie hineinzuversetzen. Wenn sich in den Augen des Stars die Tränen stauen, empfänden die Zuschauer Trauer.“ (Blothner 2003, S. 54).

Spiegelphänomene treten oft bei den Beteiligten spontan auf. Sie sind oft weder intendiert noch werden sie gegenseitig wahrgenommen (Storch/Tschacher 2014). Dies weist darauf hin, dass es ein „in der Interaktion inhärentes Merkmal handelt, nicht um einen Handlungsplan einer instrumentell (inter-)agierenden Person.“ (Tschacher/Storch 2009, S. 164).

Aufgabe von Spiegelphönomenen

Spiegelphänomenen dienen dazu, Emotionen und Handlungsziele des Gegenübers zu erkennen (vgl. Bauer 2005). Wichtig ist dies, um die eigenen Handlungen besser planen zu können (Bösel, 2012, S. 32). Pöppel schreibt: „Entscheiden ist immer auch voraussehen…“ (Pöppel 2008, S. 45): Die wichtigsten Fragen hierbei lauten: Wie werde ich mich fühlen, wenn ich die beobachtete Handlung selbst ausführe? Wie werde ich auf andere wirken? Diese Bewertung erfolgen anhand von Erfahrungen (Damasio 2004). Die physiologischen Hintergründe beschreibt Bauer anschaulich so: „Jedes Mal, wenn eine Handlung geplant oder realisiert wird, treten im Gehirn Nervenzellennetze in Aktion, die registrieren, wie sich ihre Umsetzung in die Tat körperlich anfühlen würde.“ (Bauer 2005, S. 41).

Eigene und fremde Emotionen müssen also in engem Zusammenhang mit dem Denken und Handeln gesehen werden.
In engem Zusammenhang stehen Spiegelphänomene mit Empathie: Sie gelten als deren Voraussetzung. Mit dem Begriff der Empathie beschreibt Ekman die Reaktionen auf Emotionen anderer Menschen (Ekman 2007, S. 249).

Unterscheiden lassen sich kognitive und emotionale Empathie: „Kognitive Empathie lässt uns erkennen, was ein anderer fühlt. Emotionale Empathie lässt uns fühlen, was der andere fühlt, und das Mitleiden bringt uns dazu, dass wir dem anderen helfen wollen …“ (Ekman 2007, S. 249). Studien zeigen, dass eine Schädigung des Spiegelsystems eine fehlende oder stark eingeschränkte Empathie mit anderen Menschen zur Folge hat, wie dies das Beispiel von Autisten zeigt.

Emotionen und Spiegelphänomene in der Unternehmenskommunikation

Der Begriff Emotionen bezeichnet ein hypothetisches Konstrukt, über das keine Einigkeit besteht. Viele wissenschaftliche Disziplinen beschäftigen sich mit Emotionen, zum Beispiel Evolutionäre Emotionsforschung, Emotionstheorie, Emotionspsychologie, Emotionale Intelligenz (EQ), Werbe- und Verkaufspsychologie, Philosophie. Einen aktuellen Überblick über die Emotionsforschung bieten zum Beispiel Schiewer 2014 oder Stürmer/Schmidt 2014.

Begriffsethymologisch stammt das deutsche Wort aus dem gleich bedeutendem französischen émotion, das zu émouvoir (dt. bewegen, erregen) gehört. Dieses Wort wiederum entstammt dem lateinischen emovere (dt. herausbewegen, emporwühlen). In den meisten Definitionen scheint Einigkeit zu bestehen, dass es sich bei Emotionen und ein komplexes Phänomen handelt. Emotionen gelten als Gemütsbewegung bzw. seelische Erregung (Zimbardo 2004).

Emotionen gehen einher mit veränderten physiologischen Reaktionen (Physiologie), wie zum Beispiel ein Anstieg der Herzfrequenz, Schwitzen und erweiterte bzw. verengte Gefäße (Erröten und Erblassen) sowie die Verhaltenskomponenten, die sich in einer veränderten Mimik, Gestik, Körperhaltung und Stimmlage äußert (Wirtz 2014). Der Psychologe Philip Zimbardo sieht in Emotionen ein komplexes Muster von Veränderungen, das physiologische Erregung, Gefühle, gedankliche Prozesse und Verhaltensweisen einschließt, die als Reaktion auf eine Situation auftreten, die ein Mensch als persönlich bedeutsam wahrgenommen hat (Zimbardo 2004).

Wenn in der Unternehmenskommunikation überhaupt von Emotionen von Menschen gesprochen wird, dann meist als Aufgabe, Sympathie für das Unternehmen zu erzeugen bzw. zu erhöhen. Stimmungen sind ungerichtete Empfindungen. Sie sind schwächer als Emotionen. Dagegen sind Emotionen eindeutig ausgerichtet, wie zum Beispiel Stolz, Ängstlichkeit, Freude, Ärger, Glück, Frische, Behaglichkeit. Anders ausgedrückt: Stimmungen sind diffus und schwach (z.B. Zimbardo 2004). Sympathie ist daher kaum geeignet, sich eindeutig und dauerhaft gegenüber anderen Unternehmen abzugrenzen. Der Aufbau und die gezielte Entwicklung von Erlebnisprofilen sollten daher im Zentrum der Unternehmenskommunikation stehen (Herbst 2003, 2007).

Mit den Formen von Emotionen befasst sich die Emotionstheorie. Generell beziehen sich Emotionen auf das Grundgefühl, die das Wesen jeder menschlichen Existenz ausmacht. Paul Ekman, der ein Facial Action Coding System zur Emotionserkennung anhand von Gesichtsausdrücken entwickelte, hat sieben Basisemotionen empirisch nachgewiesen (Ekman 2007): Freude, Wut, Ekel, Furcht, Verachtung, Traurigkeit und Überraschung. Zum Grundgefühl zählen weiterhin Liebe, Hass und Vertrauen.

Werden Emotionen bewusst erlebt, werden sie als Gefühl bezeichnet (z.B. Damasio 2004, S. 38; Stürmer/Schmidt 2014, S. 19). Gefühle sind nur der fühlenden Person selbst zugänglich. Sie können deshalb nur durch Befragungen oder Selbstbericht erfasst werden (Stürmer/Schmidt 2014).

Bedeutung von Emotionen für Entscheidungen

Emotionen haben eine wichtige Bedeutung für Motivationsprozesse (Motivation). Sie leiten zielgerichtetes Verhalten (Ziele) ein und begleiten es. Emotionen entstehen mit Bedürfnissen (Bedürfnis) und wenn die Möglichkeit zur Bedürfnisbefriedigung in Aussicht steht. Sie begleiten zudem die Bedürfnisbefriedigung. Viele aktuelle Forschungsergebnisse bestätigen, dass Entscheidungen vor allem emotional fallen (Damasio, 2003, 2004; Roth, 1996, 2000, 2001, 2008).

Dass Emotionen sogar Voraussetzung für rationale Entscheidungen sind, belegen die Arbeiten des weltbekannten Neurologen Antonio Damasio: Einige Patienten, die auf Grund von geschädigten Hirnregionen ihre Emotionalität eingebüßt hatten, verloren gleichzeitig ihre Fähigkeit, rationale Entscheidungen zu treffen. Fazit: Emotionen sind notwendige Grundlage für vernünftiges Handeln. Sein Fazit: Wer nicht fühlt, kann auch nicht vernünftig entscheiden oder handeln (Roth, 1996). Emotionen sind keine Störungen des vernünftigen Denkens, sondern Überlebenshilfe (Storch, 2005).

Wie arbeitet das limbische System? Das limbische System bewertet alle in das Gehirn der Mitarbeitern einströmenden Informationen, wie emotional bedeutend diese für sie – ähnlich einer die Eingänge sortierenden Bibliothekarin. Haften bleibt im Gedächtnis, was das limbische System positiv oder negativ anrührt. Alles andere rauscht durch deren Gehirn hindurch. „Es findet bereits eine … informatorische ‚Müllbeseitigung‘ statt. Es wird nur das zur Kenntnis genommen, was wichtig ist oder was wichtig sein könnte“ (Pöppel 2008).

Auf die Bedeutung von Emotionen für die Kommunikation weist auch Thomas Knieper hin: „Auch wenn man Botschaften hundertmal wiederholt, werden sie nicht beachtet, sofern sie nicht in der Lage sind, einen emotionalen Eindruck zu hinterlassen. Dies gilt für alle Vorschriften, Hinweise, Lustquellen, Nachrichten – sie werden so lange ohne Wirkung bleiben, solange sie nicht gleichzeitig mit einem ‚affektiven Stempel’ oder ‚Imprint’ versehen werden.“ (Knieper 2001, S. 119).

Diese Bewertung übernimmt das limbische System, der Sitz der emotionalen Intelligenz. Dort sitzen auch die Wünsche, Motive und Emotionen des Menschen. Die allgemeine Funktion des limbischen Systems besteht darin, das zu bewerten, was das Gehirn tut (Roth 1996, S. 209). Das Wirken des limbischen Systems lassen sich als begleitende Gefühle erleben, die entweder vor bestimmten Handlungen warnen oder die Handlungsplanung in eine bestimmte Richtung lenken.

Je emotional bedeutender etwas ist, desto besser lernen Menschen diese Informationen. Gefühle werfen einen „Lernturbo“ an, sagt Manfred Spitzer (2002). Studien bestätigen, dass Emotionen helfen, besser wahrzunehmen und effektiver zu lernen. Menschen können schneller und gezielter entscheiden, wenn die Informationen mit starken Gefühlen verbunden sind. Je stärker ein Unternehmen anspricht, desto besser werden dessen Botschaften gelernt. „Forget about Power-Point and statistics. To move people at the deepest level, you need stories“ (McKee, Harvard Business Review, 6/2003). Dies ist der wichtigste Grund für die starke Wirkung von Unternehmen mit einem einzigartigen Erlebnisprofil: Sie lösen starke Gefühle aus und werden demnach besser erinnert. Sie hinterlassen eine tiefe Gedächtnisspur. Je emotionaler die Begegnungen mit einem Unternehmen, zum Beispiel durch dessen Events, desto stärker wirken sie im Gedächtnis.

Das Beispiel: Gestaltung von Emotionen auf Events

Konsequenzen des Phänomens für „Theory of Mind“ für Emotionen auf Events wäre, die innere Beteiligung der Anwesenden durch gedankliche Einbeziehung der Besucher zu erhöhen. Dies könnte geschehen, in dem die Besucher Aufgaben lösen müssen, bei denen sie die Bewusstseinsvorgänger anderer Besucher in der eigenen Person erkennen müssen.

Ein weiteres Beispiel wären Geschichten auf Events, bei denen wichtig ist, die Beweggründe von Handelnden zu  erkennen und auf deren künftiges Entscheiden und Handeln zu schließen. Diese Handlungen sollten stark emotional sein und das Erlebnisprofil des Veranstalters reflektieren.

Konsequenzen des Lernens am Modell für Emotionen auf Events wären, dass die Besucher die Markenverwendung sehen und lernen. Mehr noch: Sie lernen auch die mit der Marke verbundenen Emotionen.