Digitalisierung: Scheitern die bisherigen Change-Modelle? Das häufige Scheitern von Change-Prozessen scheint Fakt: 70 Prozent der Change-Prozesse scheitern oder bleiben teilweise weit hinter ihren Erwartungen zurück. Und dies seit nunmehr 30 Jahren: Schon 1996 wies Harvard-Professor John P. Kotter in seinem Klassiker „Leading Change“ hin, dass nur 30 Prozent der Change-Projekte gelingen. Aktuelle Studien zeigen, dass die Erfolgsquote angesichts von Digitalisierung und Globalisierung eher fällt.

Unternehmensberater Ron Ashkenas vermutet im Harvard Business Manager 12/2012: “Unser theoretisches Wissen über Change-Management ist ziemlich ausgereift. Aber die Fähigkeiten der Manager, dies umzusetzen, sind über die Jahre ausbaufähig geblieben. Wir haben versäumt, die Fähigkeit von Managern zu stärken, Veränderung zu managen.“ Kaum vorzustellen, wie viel Geld den Unternehmen verloren gehen, weil sie die Potenziale des Wandels nicht nutzen und neue Unternehmensstrategien nicht oder unzureichend umgesetzt sind.

Ein wesentlicher Grund für das Scheitern von Change-Prozessen sind Falschannahmen darüber, wie die Bereitschaft bei Managern und Mitarbeitenden für den Wandel entsteht. Einige Beispiele:

1. Annahme: Fast alle gängigen Modelle gehen davon aus, dass es zu den Aufgaben eines Managers gehört, Mitarbeitende zu motivieren und zu neuem Verhalten zu veranlassen: „Wir müssen die Mitarbeitenden motivieren“, „Wir müssen sie durch den Wandel führen“, „Wir müssen die Mitarbeitenden dazu bringen…“.

Ein Grund, warum dies nicht funktioniert ist, dass Manager meist selbst nicht wissen, was Motivation ist, wie sie entsteht und gestaltetet werden kann – selbst die eigene.

Ein weiterer Grund ist, dass die Mitarbeitenden selbst entscheiden, ob sie den Wandel wollen oder nicht. Hierfür bewerten sie Informationrn über den Change vor dem Hintergrund der eigenen Lebenssituation danach, welche Konsequenzen der Change für sie hat. Erwarten sie positive Konsequenzen durch den Wandel, werden sie hierfür eher bereit sein; erwarten sie negative Konsequenzen, sind sie dagegen. Das meiste davon geschieht übrigens unbewusst (siehe unten).

Fazit: Die Quelle von Motivation liegt in den Mitarbeitenden selbst. Sie lässt sich nicht dauerhaft von außen erzeugen.

2. Annahme: Wandel entsteht, weil er notwendig ist: „Informieren Sie mal die Mitarbeitenden, warum wir den Wandel brauchen“: Wandel wird also als dringende Notwendigkeit gesehen und mit Fakten und Zahlen begründet.

Das kritisch-rationale Abwägen – der Wandel ist sinnvoll, notwendig, logisch, korrekt – ist aber nur eines von zwei Bewertungssystemen des Menschen (Nobelpreisträger Daniel Kahneman nennt den Verstand System 2). Das andere Bewertungssystem prüft, ob der Mensch den Wandel auch tatsächlich will, weil er gut ist und er ihn mögen wird.

Fazit: Wir brauchen einen Ansatz, der auch das zweite Bewertungssystem (Kahneman nennt es System 1) einbezieht, also die emotionale Bewertung des Wandels. Studien zeigen, dass dieses System letztlich und dauerhaft entscheidet, ob der Change tatsächlich gewollt ist.

Wie kann die Umsetzung von Business-Strategien gelingen? (Quelle: www.pexels.com)

3. Annahme: Manager gehen davon aus, dass ihre Meinung zwangsläufig von den Mitarbeitern übernommen wird. Beispiel: Der Firmenchef beteuert, Stillstand sei bedrohlich und deshalb sei Wandel gut. Würden die Mitarbeitenden darüber informiert, wären sie dann auch dieser Meinung.

Ist der Wandel tatsächlich gut für mich, fragt der Mitarbeitende? Was, wenn dieser völlig zufrieden mit seiner jetzigen Situation ist? Wenn ihn ein Wandel psychisch und körperlich destabilisieren würde?

Beispiel Kosteneinsparungen: Was, wenn der jährliche Bonus wegfällt? Was, wenn ich künftig immer mindestens 3 Angebote einholen muss und viel mehr Arbeit habe? Rationalisierung ist gut? Wenn es mein eigener Arbeitsplatz ist?

Fazit: Essenziell für die Akzeptanz von Change-Management ist, diesen aus Sicht der subjektiven Bewertung der Mitarbeitenden zu sehen. Dies gelingt nur, wenn wir die Meinung der Mitarbeitenden erfragen und in unsere Argumentation einbeziehen.

4. Annahme: In vielen Change-Konzepten ist als Aufgabe für die Führungskräfte zu lesen, „…den Mitarbeitenden die Chancen des Wandels darzustellen“ – als ob der Change für alle die gleichen Chancen hätte.

Es gibt nicht DIE Chance für alle Mitarbeitenden. Tatsächlich entsteht Motivation aus den unbewussten Bedürfnissen und bewussten Zielen der jeweiligen Person. Sie entsteht also individuell und ist innerhalb einer Belegschaft sehr unterschiedlich.

Fazit: Change-Management sollte darstellen, welche Ziele des Mitarbeitenden der Change erfüllt: Ist der Mitarbeitende durch Macht und Karriere motiviert? Durch neue Herausforderungen? Durch neue Kontaktmöglichkeiten?

Typische Aussagen wie: „Wir wollen weltweiter Marktführer sein“, sind für die meisten Mitarbeitende ziemlich bedeutungslos. Konsequenz: Die Chancen des Wandels sind individuell. Unser Vorgehen sollte dies berücksichtigen.

5. Annahme: Wandelbereitschaft ist eine bewusste Entscheidung: Zahlen, Daten, Fakten: Change wird meist aus Sicht der bewussten Wahrnehmung diskutiert.

Jedoch weisen Wissenschaftler, dass wir nur etwa 2 Prozent bewusst verarbeiten. Nur der geringste Teil dringt in unser Bewusstsein. Bewusstsein sind alle geistigen Tätigkeiten, die ein Mensch bei sich selbst wahrnimmt und über die er Auskunft geben kann, wenn er danach gefragt wird.

Wie mächtig das Unbewusste in unserem Gehirn ist, vergleicht Sozialpsychologe Timothy Wilson mit dem Vergleich zum Eisberg, der eine winzigen Schneeball als Spitze hat (das Bewusstsein).

Wie das Unbewusste arbeitet, wird bei einem angekündigten Stellenabbau deutlich: Fühlen sich Menschen bedroht, aktiviert das Gehirn wieder sein Stresssystem und wirft die alten, einfachen Notfallprogramme an: Angriff, Flucht, Erstarrung. In der wahrgenommenen Gefahr verringert das Gehirn – wie schon beschrieben – die Informationsmenge, die es zu verarbeiten hat. Das Gehirn will der Gefahr entkommen und hält sich möglichst an die einfachsten Muster wie

  • Flucht: „Ich gehe sofort woanders hin“;
  • Konfrontation: „Ich werde es schon schaffen“, „Da müssen wir durch“;
  • Verleugnung: „Mich wird es schon nicht treffen“.

Fazit: Die Prüfung, ob der Mitarbeitende den Wandel will oder nicht, erfolgt weitgehend unbewusst. Kaum ein Change-Konzept geht auf die unbewussten Prozesse des Bewertens und Entscheidens ein. Wichtig für das Einbeziehen von System 1 sind Bilder und Geschichten (Storytelling).

Der Erfolg von Change-Prozessen ist an die Bereitschaft der Mitarbeitenden geknüpft (Quelle: www.pexels.com)

6. Annahme: Jeder Change-Prozess ist ein Neuanfang: Meist beginnen die Manager einen Change-Prozess im Glauben, dass etwas Neues für sie und die Mitarbeitenden beginnt.

Das ist falsch. Fast immer haben die Mitarbeitenden bereits Erfahrungen mit früheren Change-Prozessen gemacht. In der Beraterpraxis zeigt sich, dass sie fast immer negativ waren. Solche früheren Erfahrungen sind danach gespeichert, was geschehen ist (kognitiv), wie sich die Mitarbeitenden gefühlt haben (affektiv) und wie sie körperlich auf den Wandel reagiert haben (somativ), also mit Verspannungen, dauerhaften Magenbeschwerden. Im Fall des neuen Change-Prozesses rufen die Mitarbeitenden solche Erfahrungen ab, um aus ihnen zu schließen, wie der neue Prozess ablaufen wird. Diese Erfahrungen laufen wie innere Filme ab – fast gleichzeitig und meist unbewusst.

Fazit: Wir müssen frühere Erfahrungen der Mitarbeitenden unbedingt berücksichtigen, weil sie neue Erfahrungen verhindern können.

7. Annahme: Motivation entsteht aus Angst vor einer schlimmen Zukunft: Viele der Botschaften der Manager im Wandel erzeugen Angst und Unsicherheit: „Wir müssen uns verändern, sonst gehen wir unter“, „Wir müssen Arbeitsplätze abbauen für die langfristige Sicherung unserer Arbeitsplätze“. Oder gar: „Wenn wir nicht kreativer und innovativer werden wird uns der Wettbewerb überholen“.

Solche Botschaften können kurzzeitig mobilisieren; langfristig erzeugen sie eine permanent von Angst und Unsicherheit geprägte Stimmung. Mitarbeitende können sich zwar vorübergehend selbst für die korrekte Ausführung der Arbeitsanforderungen kontrollieren, Mitarbeitenden müssen sich immer wieder kontrollieren (Selbstkontrolle), die Ziele zu verfolgen, die vom Unternehmen vorgegeben sind und die sie eigentlich gar nicht wollen. Das macht auf Dauer krank, wie die dramatisch gestiegenen Zahlen von Depressionen, Burnout etc. zeigen.

Die von sich selbst heraus bestehende intrinsische Motivation, die aus dem eigenen tiefen Wollen um der Arbeit selbst willen entsteht (Selbstregulation), wird zurückgedrängt.

Fazit: Wir brauchen ein Vorgehen, dass die innere Überzeugung jedes Mitarbeiters schafft, der innere Antrieb der Mitarbeitenden (Motivation).

8. Annahme: Abstrakte Umsetzungshinweise reichen aus – wie „Einbeziehung der Mitarbeitenden“ -um Widerstand und Abwehr gegen den Wandel zu beseitigen.

Unklar bleibt, wie die Mitarbeitenden konkret einbezogen werden und wie hierdurch ihre Motivation steigen soll. Chancen des Wandels sind individuell, gruppen- und gemeinschaftsbezogen und müssen auch je nach Unternehmen, Branche und Umfeld angepasst sein.

Fazit: Wir brauchen ein Change-Programm, das konkrete Hinweise für die Umsetzung enthält, speziell für den Umgang mit Ablehnung und Widerstand gegen den Wandel.

9. Annahme: Die Ziele des Wandels müssen klar und spezifisch sein: Ziele von Change-Prozessen sollen konkrete Ergebnisse sein, wie zum Beispiel „fünf Prozent Umsatz steigern“ oder „drei Innovationen pro Jahr entwickeln“. Hierfür entwickeln die Manager die erforderlichen Handlungsziele, zum Beispiel konkrete Gewinnziele durch realisierte Innovationen.

Indes fehlt ein Haltungsziel bzw. eine Einstellung, das die erforderliche Energie für die Zielerreichung freisetzt. Beispiel Serviceorientierung: Um stärkere Kundenorientierung zu erlangen kann das Unternehmen konkretes Verhalten festlegen, wie im Umgang mit Beschwerden. Dies ist jedoch sehr aufwändig, weil für die einzelnen Fälle spezifisches Handeln erforderlich ist.

Kaum ein Mitarbeitergespräch ohne SMART-Zielvereinbarung, also nach der Regel spezifisch, messbar, anspruchsvoll, realistisch, mit Termin. SMARTE Ziele sind sinnvoll, wenn Motivation schon vorhanden ist und es sich um ganz einfache, klar strukturierte Aufgaben handelt, wie zum Beispiel „mache täglich fünf Neukundenanrufe“. Wenn aber das Ziel im Verkauf lautet: „Begrüße jeden Kunden mit einem Lächeln!“, dann zeigt sich, dass Kundenorientierung nicht auf der Verhaltensebene funktioniert, weil dies oft aufgesetzt wirkt; stattdessen sind Haltungs- oder Einstellungsziele erforderlich, die sich ganzheitlich auf Denken, Fühlen und Handeln der Mitarbeitenden auswirkt.

Fazit: Ein Haltungsziel wäre das Dach über den Ergebnis- und Haltungszielen: „Wenn mein Kunden zufrieden ist, dann hüpft mein Herz“. Natürlich hat dies der Mitarbeitende nicht immer in seiner Hand, ob der Kunde glücklich ist oder nicht – aber seine Haltung bzw. Einstellung zielt auf dessen Zufriedenheit ab. Lesen Sie hierzu auch meinen Blog-Beitrag über wirkungsvolle Ziele in der Digitalisierung.

10. Annahme: Change ist für die Erfolgreichen.

Hierbei wird regelmäßig übersehen, dass es Mitarbeitende gibt, für die der Change mit einem Verlust verbunden ist, weil sich die Bedingungen für sie verschlechtern. Nicht jeder Change ist ein Gewinn für jeden Mitarbeitenden.

Experten schätzen, dass durch die Digitalisierung der Banken in den kommenden Jahren die Hälfte der Arbeitsplätze verloren geht. Viele Arbeitnehmer müssen neue Aufgaben übernehmen, wenn sie es sich nicht leisten können, den Job aufzugeben, weil sie die Raten für das Haus abbezahlen müssen oder die Ausbildung ihrer Kinder finanzieren müssen. Wie gehen solche Menschen mit den neuen Bedingungen um?

Schmidt und Kollmann schreiben in ihrem Buch „Deutschland 4.0: Wie die Digitale Transformation gelingt“: „Viele Arbeitnehmer werden das Tempo der Digitalisierung nicht mitgehen können – sie werden zurückbleiben. Das ist ein ernstes Problem und damit müssen wir uns beschäftigen“. Konsequenz:

Fazit: Wir müssen Mitarbeitende unterstützen, sich mit ihrer Situation bestmöglich zu arrangieren, wenn sie diese nicht ändern wollen, können oder dürfen.

Neues Buch mit 4 Innovationen zum Change

Erfolgreiches Change-Management: In Kürze erscheint mein neues Buch mit 4 Innovationen aus dem Zürcher Ressourcen Modell (ZRM) für den Einsatz im Change bzw. der Digitalisierung. Mit-Autoren sind Maja Storch, Johannes Storch und Anke Breiter.

Autor

Prof. Dr. D. Georg Adlmaier-Herbst ist anerkannter Berater, Trainer und Redner für Unternehmen, Organisationen und Personen im In- und Ausland. Er ist Honorarprofessor und Scientific Director der Forschungsstelle „Berliner Management Modell für die Digitalisierung (BMM )“ am Berlin Career College der Universität der Künste Berlin. Er ist Gastprofessor für „eCommerce in China“ an der Jiao-Tong-Universität in Shanghai (China), Gastprofessor an der Lettischen Kulturakademie in Riga. Er unterrichtet außerdem an der Universität St. Gallen (Schweiz). Er ist Mitglied der „Academy of international Business“. 2011 wurde er von der Zeitschrift „Unikum Beruf“ zum „Professor des Jahres“ gewählt. Herbst hat 20 Bücher über Marketing und Unternehmenskommunikation geschrieben.

Prof. Dr. Georg Adlmaier-Herbst (Quelle: Eyes & Ears)

Prof. Dr. Georg Adlmaier-Herbst (Quelle: Eyes & Ears)