Storytelling bietet in den PR vielfältigen Nutzen. Auszug aus meinem Buch Storytelling, das in der 3. Auflage im UVK Verlag Konstanz erschienen ist:
Wichtige Vorteile aus Sicht der Bezugsgruppen
- Geschichten erleichtern das Einordnen neuer Informationen: Durch umfassende Geschichten über das Unternehmen können die Bezugsgruppen neue Informationen über das Unternehmen in das vorhandene Wissen einordnen. Die Praxis sieht bisher noch anders aus: Meist herrscht in den PR-Stellen deutscher Unternehmen Tagesgeschäft, das kaum ermöglicht, die vielen Informationen aus dem Unternehmen im Zusammenhang darzustellen – eine Presseinformation jagt die nächste, ohne dass den Bezugsgruppen deutlich wäre, wie jede dieser Meldungen in deren Gesamtvorstellung vom Unternehmen einzuordnen sind.
- Geschichten ermöglichen Orientierung: Erzählt ein Unternehmen eine Geschichte, orientiert dies die Bezugsgruppen über dessen Vergangenheit, dessen Gegenwart und dessen gewünschte Zukunft. Dies macht das Unternehmen berechenbar und zuverlässig – die Grundlage für Vertrauen ist geschaffen: Die Bezugsgruppen wissen, wofür das Unternehmen steht, welches Anliegen es hat. Auf dieser Grundlage können sie entscheiden, ob sie das Unternehmen unterstützen oder nicht. »Die Kultur des Erzählens ist ein perfektes Mittel, Sinn in die Vielschichtigkeit der Welt hineinzutragen. Geschichten schaffen eine Ordnung, zeigen Zusammenhänge auf und formulieren Visionen und Erfahrungen. Vor allem aber werden durch das Erzählen Bedürfnisse aufgezeigt.« (Spath/Foerg, 2006: 8).
- Die Bezugsgruppen können sich identifizieren: Spricht sie eine Geschichte stark emotional an, weil sie deren Motiven und Werten entspricht, können sie sich mit der Geschichte und den darin Handelnden identifizieren und ihren Beitrag am Erfolg der Geschichte leisten.
- Geschichten helfen, Probleme zu lösen: Geschichten zeigen auf, wie ein Unternehmen seine Probleme gelöst hat, denn Konflikte sind der Kern guter Geschichten Die Bezugsgruppen können anhand dieser Beispiele selbst prüfen, wie sie sich verhalten würden und ob sie aus der Geschichte des Unternehmens lernen können.
- Geschichten wirken in deren soziales Umfeld: Gefällt den Bezugsgruppen die Geschichte des Unternehmens, können sie in ihrem sozialen Umfeld (Familie, Freunde, Arbeitsplatz) davon erzählen. Mit diesen Erzählungen treffen Menschen immer auch eine Aussage über sich selbst, denn andere erfahren, was ihnen wichtig ist und was sie anrührt.
- Geschichten unterhalten: Die Brüder Samwer begeisterten Geldgeber, Millionen in das Auktionshaus Alando zu investieren, das sie später an Ebay verkauften – da waren sie kaum älter als 20 Jahre. Hoch vermögend stiegen sie nach einiger Zeit aus und gründeten den Klingeltonanbieter Jamba. Solche Erfolgsgeschichten wirken sich auf den Börsenkurs dieser Unternehmen aus: Experten schätzen, dass 40 bis 60 Prozent des Aktienwertes durch Kommunikation von Erfolgsgeschichten bestimmt sind, so genannten »Success Stories«. Viele sind gespannt, wie sich deren Erfolgsgeschichte weiterentwickelt.
Wichtige Vorteile aus Sicht des Unternehmens
- Geschichten lösen Aufmerksamkeit aus: Wenn uns jemand eine Geschichte erzählt, dann hören wir lieber zu, als wenn uns jemand eine Information neutral berichtet. Für das Unternehmen hat dies zum einen den Vorteil, dass es in der Branche auffällt; zum anderen steigert die Aktivierung durch Aufmerksamkeit die Erinnerungsleistung der Bezugsgruppen – umgekehrt: wer müde ist, lernt schlechter.
- Sie zeigen die Bedeutung einer Information: Menschen bewerten alle eingehenden Informationen danach, welche Bedeutung sie haben und welche Belohnung sie bringen. Geschichten können genau dies höchst wirkungsvoll: Sie erklären, worum es dem Unternehmen geht und welche positive Konsequenz dies für sie hat. Wie bisher können Sie Ihre Mitarbeiter informieren, dass Sie ein Arzneimittel herstellen; aber Sie können ihnen auch erklären, dass Sie dazu beitragen, dass Menschen wieder selbst bestimmt leben können. Noch einmal: Das neuronale Netzwerk von Unternehmen besteht vor allem aus der Bewertung dieses Wissens, den mit ihr verbundenen Emotionen und sogar Körperreaktionen.
- Prozesskommunikation statt Ergebniskommunikation: Bislang haben Unternehmen in ihren PR vor allem Entscheidungen und andere Ergebnisse kommuniziert (Ergebniskommunikation); doch diese Form der Kommunikation ist aufgrund der schnellen Entwicklungen nicht mehr zeitgemäß. Stattdessen wünschen sich die internen und externen Bezugsgruppen, vom Unternehmen auf dem Laufenden gehalten zu werden, um sich ein klares Vorstellungsbild vom Unternehmen und seiner Entwicklung zu machen (Prozesskommunikation).Dies bedeutet für die PR meist, schon sehr früh die Bezugsgruppen zu informieren und sich zu erklären, selbst wenn erst wenige Informationen vorliegen. Die PR haben dann die Aufgabe, zu sagen, was ein Unternehmen zu diesem Zeitpunkt weiß, aber auch, was es noch nicht weiß; und es sollte sagen, wann es das weiß, was es heute noch nicht weiß. Eine solche Kommunikation setzt einen Kulturwandel voraus, denn die Verantwortlichen müssen lernen, Unsicherheit zuzulassen. Storytelling ist für diese Form der Kommunikation hervorragend geeignet, denn selbst wenn es wenige Informationen gibt, erhalten diese eine Bedeutung, weil sie Teil einer Geschichte sind, die eine Fortsetzung und eine Ende hat.
- Geschichten sind sehr anschaulich: Emotional, bildhaft, bewegungsnah – das sind die Grundprinzipien von Geschichten. Jedoch geistern heutzutage viele abstrakte Begriffe durch die Unternehmen, unter denen sich nicht einmal die Manager selbst etwas Konkretes vorstellen können, und wenn, dann verstehen sie meist nicht das gleiche darunter, wie im Fall der Begriffe »innovativ«, »effizient« und »effektiv«.(Machen Sie selbst den Test!). Geschichten dagegen sind sehr anschaulich und verständlich, weil sie von Menschen und deren Handeln erzählen, die für die Bezugsgruppen bedeutend und belohnend sind. Selbst wenn ein Unternehmen abstrakte Begriffe verwendet, um sich zu beschreiben, kann Storytelling helfen, diese Begriffe durch praxisnahe Beispiele zu erläutern. Wie also schlägt sich der faire Umgang miteinander in den Geschichten des Unternehmens nieder? Wie dessen Kundenorientierung?
- Geschichten sind glaubwürdig: Wir beurteilen andere Menschen vor allem nach ihrem Verhalten. Das Unternehmen und dessen Mitarbeiter müssen daher durch ihr Verhalten einlösen, was sie uns versprochen haben. Anhand der Handlungen in Geschichten können sich die Bezugsgruppen davon überzeugen, dass das Unternehmen nicht nur redet, sondern auch handelt! Showing versus Telling! Zum Beispiel sprechen viele Unternehmen von der »Partnerschaft« mit den Kunden und dass sie für diese da sind. Können wir uns durch ihr Handeln davon überzeugen?
- Geschichten können alle Sinne ansprechen: Die Inszenierung von Geschichten wirkt besonders stark, wenn sie alle Sinne anspricht: Ihr Unternehmen sieht attraktiv aus, es riecht bei Ihnen gut, die Klangwelt ist angenehmen, die Geschäftsaustattung fühlt sich gut an und das Geschäftsessen schmeckt gut. Die einzelnen Gedächtnisbruchstücke setzt die Gehirnregion des Hippocampus zu einem einheitlichen Ganzen zusammen. Alle Signale sollten deshalb aus einem Guss sein, damit ein starker und stimmiger Gesamteindruck von Ihrem Unternehmen entsteht.Für die multimodale Ansprache sind zum Beispiel Events besonders geeignet, da sie alle Sinne ansprechen: durch Bilder, Inszenierungen, Musik, Geräusche, Sprache, Duft, Oberflächen, Böden, Wind und Geschmackserlebnisse. Das Sehen spielt hierbei die herausragende Rolle, weil wir zu 80 Prozent durch Sehen lernen (Herbst/Scheier 2004). Die multimodale Ansprache aller Sinne führt dazu, dass mehrere Hirnbereiche aktiv sind und sich das Unternehmen hierdurch stärker verankert als bei der Aktivierung von nur einem Bereich.
- Geschichten beziehen ein: Wir müssen eine Geschichte mitsimulieren, um sie zu verstehen. Dies bezieht uns stärker ein als es reine Sachinformationen ohne emotionalen Gehalt tun würden. Geschichten sind Erzählungen, von denen wir wissen wollen, wie sie weitergehen. Geschichten sind unter anderem deshalb wirksame Bedeutungsträger, weil wir sie aufgrund von Spiegelphänomenen spontan miterleben können. Es besteht deshalb kaum ein Unterschied zwischen erlebten und erzählten Geschichten, denn wir müssen eine Geschichte miterleben, simulieren, um sie zu verstehen. Hinzu kommt, dass Geschichten sehr effiziente Bedeutungsträger sind, wie das Beispiel von Anita Roddick zeigt, die als Gründerin des Body Shop für soziale Gerechtigkeit kämpft.
- Geschichten halten das Interesse aufrecht, weil die Bezugsgruppen bei spannend erzählten Geschichten erfahren wollen, wie sie weiter geht. Sie erinnern sich an das Beispiel der Meddah und von Scheherazade? Von guten Geschichten können wir nicht genug bekommen. Zum Beispiel unterhält uns schon seit Jahren der Konflikt von Ferdinand Piëch mit Porsche. Boris Becker sagte in einem Interview mit der Sport-Bild vom Februar 1999: »Ich muss mich ständig hinterfragen, muss jedes Jahr etwas Neues auf den Markt bringen. Nur dann habe ich eine Garantie, dass ich eine erfolgreiche, lange Karriere habe. Wenn ich im darauf folgenden Jahr nur das Gleiche beherrsche, ist das schon ein Rückschritt.«
- Geschichten sind für alle Bezugsgruppen geeignet: Alle Menschen sprechen auf Geschichten stärker an, die Beschäftigten, Journalisten, Geldgeber. Von Unternehmen können sich Menschen jene Geschichten aussuchen, die ihnen am besten gefallen: Träumen sie den amerikanischen Traum vom Tellerwäscher zum Millionär, dann lieben sie die Geschichten von Arnold Schwarzenegger, dem schüchternen, dünnen steirischen Junge, der auszog, um Weltmeister im Bodybuilding zu werden und um dann die USA zu erobern. Mit seinem Lebensweg können sich Menschen identifizieren, und wenn sie den amerikanischen Traum selbst nicht leben können oder dürfen, dann lebt ihn »Arnie« für sie.
- Geschichten formen Gemeinschaften: Bis heute wird die Geschichte von Firmengründer Bill Hewlett erzählt, der durch sein Unternehmen ging, mit seinen Mitarbeitern sprach und immer eine offene Tür für sie hatte. Carl Zeiss zerstörte Mikroskope, wenn sie nicht seinen Qualitätsansprüchen genügten. Solche Geschichten prägen bis heute das Denken und Handeln der Mitarbeitenden in diesen Unternehmen.
- Geschichten wirken kulturübergreifend: Storytelling kann Ihre gesamte internationale Kommunikation einbeziehen, denn Geschichten bestehen aus Mustern, die überkulturell gelernt sind (Herbst 2008).
- Durch Geschichten lernen: Bezugsgruppen können sich noch sehr lange an gute Geschichten erinnern, die sie stark angesprochen haben, zum Beispiel bei einem Tag der offenen Tür. Sie verankern sich nachhaltig in deren Gedächtnis und können ihnen zu bestimmten Anlässen immer wieder einfallen. Das Lernen von Geschichten wird durch ihre Bildhaftigkeit erleichtert.
- Stark verhaltensrelevant: Geschichten wirken durch die aufgebauten inneren Vorstellungsbilder vom Unternehmen stark verhaltensrelevant. Wie Geschichten die Energien von Menschen freisetzen können, zeigt das eben zitierte Beispiel des amerikanischen Traums, für den Millionen Menschen in die USA gekommen sind, um dort Glück und Erfolg zu finden.
Fazit: Geschichten über das Unternehmen werden wichtiger. Sie können besonders stark wirken – positiv, aber auch negativ. Geschichten können informieren und Erlebnisse mit dem Unternehmen dauerhaft verbinden. Geschichten sollten sorgfältig geplant und organisiert sein. Geißlinger/Raab (2007: 125) fragen: »Wieso wählt man den Papst nicht einfach durch Handaufheben, und die Sache hat sich? … Und warum gibt der Präsident der USA nicht einfach bekannt, dass seine Armee den Irak erobert hat, und spart sich die ganze Sache mit dem Panzer und dem Sturz der Statue von Saddam Hussein? … In allen diesen Fällen stößt die Macht sprachlicher Beschreibung und Erklärung an ihre Grenzen, weil die Sprache allein keinen Erfahrungsraum öffnet, an dem man teilhaben könnte … Es reicht eben auch nicht, militärisch gewonnen zu haben, wenn niemand an den Sieg glaubt, und ebenso wenig reicht es, einen neuen Papst zu küren, wenn keiner ihn wahrnimmt. Inszenierungen haben etwas mit der Herstellung von Relevanz und der Zuschreibung von Bedeutung zu tun, und was keine Bedeutung erlangt, löst auch nichts aus.«
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