Was ist Digital Storytelling? Digital Storytelling ist das Erzählen von Geschichten in digitalen Medien mit deren vier Besonderheiten. Diese Besonderheiten sind Integration, Verfügbarkeit, Vernetzung, Interaktivität.

Die vier Besonderheiten des Digital Storytelling

Digital Storytelling nutzt die Besonderheiten der digitalen Medien, also Integration, Verfügbarkeit, Vernetzung und Interaktivität:

Besonderheit 1: Integration

Vor einigen Jahren fand digitales Geschichtenerzählen vor allem im Internet statt, speziell auf Medien-Websites. Digitale Endgeräte kamen hinzu wie Handys, Smartphones und Tablets. Mittlerweile gehören zum Digital Storytelling auch digitale Schauräume, dreidimensionale Plakate, interaktive Angebote im Stadtraum sowie digitale Litfaßsäulen. Wichtige Technologien sind 3D-Hologramme, interaktive Bildschirme, Bluetooth, QR-Codes, Augmented und Virtual Reality. Integriert sind:

  • Geräte: Laptops, Smartphones, Smartwatches (System aus Hardware)
  • Plattformen: Eigene Website mit anderen Websites und Social Media verbunden
  • Dienste und Technologien: Mail, Telefonie, Chats, Augmented Reality, Bluetooth, QR-Codes
  • Anwendungen wie Blogs & Mircoblogs, Wikis, Themenportale, Plattformen für das Teilen von Videos, Fotos, Audiofiles, Social News Seiten, Ortungsdienste, Social Bookmarking, Suchmaschinen.
  • Medienobjekte: Tweet, YouTube-Video, Audiofiles

Alle diese Bausteine bilden ein komplexes System. Die Bausteine dieses Systems sind vernetzt und können miteinander kommunizieren. Digital Storytelling ist also weit mehr als Erzählen von Geschichten im Internet, sondern es bedeutet das Erzählen von Geschichten im digitalen Kosmos – Andrew Glassner (2004) nennt sie „Story Environments“.

Besonderheit 2: Verfügbarkeit

Mobile Storytelling ist das Erzählen von Geschichten in mobilen Endgeräten. Der User kann jederzeit (24/7) und an jedem Ort kommunizieren: Mobile Endgeräte begleiten den User durch seinen Tag – in der Eisenbahn, in der Vorlesung, sogar auf der Toilette. Im Gegensatz zu Laptop und PC ist das Smartphone im Alltag fast immer dabei, meist eingeschaltet und mit dem Internet verbunden.

Wir können dem User personalisierte, seinen Wünschen, Bedürfnissen und der Situation entsprechende Geschichten anbieten. Mobisodes sind Video-Serien für mobile Endgeräte. Sie sind entweder extra für mobile Endgeräte hergestellt oder aus vorhandenem Material zusammengeschnitten und eventuell mit Zusatzmaterial angereichert, um den Reiz für den Download zu erhöhen.

Handyromane stammen aus Japan. Die Inhalte sind trivial und reißerisch: Liebe, Sex, Drogen. Der typische Roman ist in kleine Einheiten aufgeteilt, die in drei bis vier Minuten zu lesen sind. Die Leser können Romane kommentieren und Einfluss auf die Handlung nehmen. Das kleine Display erfordert kurze, einfache Sätze, Dialoge und Monologe. Smilies werden als Abkürzungen verwendet. Ausführliche Beschreibungen fehlen. Handyromane erscheinen als Einzelband oder Serie oder auf WhatsApp.

„Location-Based-Storytelling“ ist das ortsgebundene Erzählen von Geschichten. Beispiel: Der User ist an einem realen Ort, wo er in die Geschichte einsteigt und teilnimmt. Er muss etwas tun oder er lässt etwas geschehen. Sehr gut lässt sich dies mit Augmented Reality verbinden, wie folgendes Beispiel zeigt:

Timetraveler ist eine App, die kurz vor dem 25-jährigen Jubiläum des Mauerfalls in Berlin entwickelt wurde. Ziel ist, die Geschichte der Teilung der deutschen Hauptstadt an realen Orten mit Zusatzinfos erlebbar zu machen. Der User muss nur die in der Karte markierten Orte in Berlin besuchen und das Handy wie beim Fotografieren in Richtung des Ortes richten. Die App erkennt den Ausschnitt und blendet die Videos und Fotos mit den historischen Zeitdokumenten ein. www.timetraveler.berlin

Übung: Prüfen Sie am Beispiel der App „Timetraveler“, wie diese den jeweiligen Ort für das Storytelling nutzt.

Besonderheit 3: Vernetzung

Ursprünglich waren Textbausteine verbunden, was als „Hypertext“ bezeichnet wurde. Digitales Storytelling begann mit linearem Lauftext, der über mehrere Pages lief, Links hatte und Kommentare ermöglichte. Im Lauf der Zeit waren diese Textbausteine zunehmend vernetzt mit weiteren Elementen wie Grafiksymbolen, Videos, Audio, was zum Begriff der „Hypermedialität“ geführt hat.

Durch Vernetzung können Sie Ihre Geschichten in Info-Häppchen zerlegen und im digitalen Geschichtenkosmos verteilen. Der User navigiert selbstständig durch das Angebot und entscheidet, was ihn persönlich interessiert – Beispiele sind Erlebnisse anderer Menschen, historische Rückblenden, Biografien zu Protagonisten der Geschichte, grafisch aufbereitete Hintergrundfakten, Umfrageergebnisse, Chronologien.

Der Nutzer springt im digitalen Geschichtenkosmos durch Hyperlinks zu jenen Inhalten, die ihn faszinieren: Er beginnt einen Text auf der Website zu lesen, zwischendurch schaut er sich ein Foto auf einer Fotoplattform wie Instagram an, schaut ein YouTube-Video und kehrt zum Text zurück. Hierbei kann der User Verlinkungen planlos verfolgen und sich treiben lassen, er kann Links zielgerichtet als Pfad verfolgen oder er kann nach einem konkreten Inhalt suchen und hierbei einen Pfad vernachlässigen.

Eine Herausforderung beim Vernetzen besteht für Digitales Storytelling darin, dass Besucher ohne lineare Struktur die Orientierung verlieren: Der Leser eines Buches weiß, wo es beginnt, dass ein Kapitel dem anderen folgt und wann das Buch zu Ende ist. In Digital Environments weiß er dies nicht. „Die Nutzer können auf dem Bildschirm immer nur einen kleinen Ausschnitt eines umfangreichen Dossiers sehen und müssen permanent entscheiden, wie tief oder breit sie sich informieren wollen, welchen Weg durch den Angebotsdschungel sie wählen“ (Meier 2003, S. 259).

Gute Orientierung ist daher essenziell für erfolgreiches Digital Storytelling. Ziel der Navigation ist, dass der User ein klares Bild davon hat, welche Geschichten ihm das digitale Angebot bietet und wo er sie finden kann, wo er schon war und was er noch nicht gesehen hat. Dies gelingt durch einen Hauptstrang, den der Journalist entwickeln, an dem sich der User die Geschichte erarbeiten kann: Ein Link führt zur Geschichte eines Erfinders, der eine neue Technologie in der Medizin entwickelt hat; Protagonisten wie Experten können zu Wort kommen, die die Leistungen des Erfinders würdigen.

Weitere Orientierung im Geschichtenkosmos bieten Geschichten, die in Frames angelegt sind: Alle Geschichten sind auf dem Bildschirm sichtbar; ist der Nutzer einer Geschichte gefolgt, wird das Feld schwarz.

Übung: Suchen Sie das Beispiel einer journalistischen Geschichte im Netz, die mehrere Websites miteinander vernetzt hat.

Besonderheit 4: Interaktivität

Im Digital Storytelling können wir vor allem die technische und die persönliche Interaktivität unterscheiden. Bei der technischen Interaktivität reagieren die digitalen Medien auf den User; bei der persönlichen Interaktivität reden Menschen miteinander.

Technische Interaktivität

Digitale Medien reagieren auf uns – wir bestimmen Art, Inhalt, Zeitpunkt, Dauer, Folge und Häufigkeit des Abrufs. Geschichten passen wir unseren Interessen, Wünschen und Bedürfnissen an; wir wählen Bausteine wie Geräte, Technologien, Dienste und Medienobjekte.

Zur technischen Interaktivität gehört zum Beispiel der Schieberegler, den wir selbsttätig bedienen und damit die Geschwindigkeit steuern. In der Kurztextgalerie klicken wir ähnlich einer Bildergalerie von einem kurzen Textbaustein zum nächsten. Im 360-Grad-Panorama/3D-Foto können wir die Perspektive und den Zoom manuell ändern und nach Belieben durch Panoramabilder navigieren. Weitere Beispiele:

  • Bildergalerien können Texte durch spannende Fotos ergänzen oder gleich die Geschichte nur mit Fotos und Bildtexten erzählen.
  • Audio-Slideshows bieten zusätzlich zur Bildergalerie auch O-Töne von Protagonisten, passende Geräusche und Musik.
  • Gigapans lassen den User in übergroße, hochauflösende Panorama-Bilder hineinzoomen und interessante Details näher betrachten.
  • Infinity-Fotos setzen sich aus vielen Fotos zusammen. Der User kann durch Hinein- oder Hinauszoomen immer neue Motive entdecken. Das Magazin National Geogra-phic setzt diese Foto-Form regelmäßig auf seiner Website ein und zeigt damit die Vielfalt der US-Nationalparks.
  • Mikrotexte: Sie verweisen auf weitere Inhalte, wie einen Link-Titel und Kurzteaser zu weiteren Artikeltexten, Videos, Audios oder anderen Elementen, Kurzüberschriften für verknüpfte Artikeltexte, Zwischenüberschriften etc.
  • Interaktive Zeitleiste: Der User kann beliebig über an-klickbare Bilder- oder Zahlenreihen navigieren.
  • Multiperspektiven-Geschichte: Inhalte sind inhaltlich und optisch gebündelt und non-linear verbunden. Mehrere Perspektiven der Handelnden sind möglich.

Persönliche Interaktivität

Digitale Medien ermöglichen neue Erzählformen, indem sie Menschen und Inhalte miteinander vernetzen. Ein Beispiel wäre die Geschichte der Demokratie und einen Rundgang durch den Reichstag:

  • Handelnde: Der User könnte die Handelnden wählen, wie den Politiker (historisch oder aktuell), den Führenden durch den Reichstag, den Bürger.
  • Bühne: Der User wählt die angebotene Bühne, zum Beispiel den Eingang zum Reichstag oder den Plenarsaal.
  • Handlung: Der User könnte die vorhandene Geschichte ergänzen, er könnte seine Geschichte mit anderen Usern teilen oder an diese weiterleiten, die wiederum ihre eigene Geschichte mit ihren Erlebnissen ergänzen. Er könnte auch eine völlig eigene Geschichte erzählen nach dem Motto: „Erzählen Sie Ihre Geschichte mit…“

User können also die Inhalte beeinflussen: Sie können in die Handlung eingreifen, sie mit-gestalten oder sie vollkommen bestimmen. Die Gestaltung bewegt sich also zwischen den beiden Polen des erzählenden Journalisten einerseits und des erzählenden Users andererseits.

Übung: Schauen Sie sich 5 journalistische Angebote im Netz an. Wie stellen diese Angebote die Interaktivität zum Publikum, aber auch innerhalb des Publikums her?

In 5 Schritten zum eigenen digitalen Storytelling

Schritt 1: Ziele des Digital Storytelling festlegen

Legen Sie möglichst konkret fest, welchen einzigartigen Beitrag das digitale Storytelling leisten kann durch Integration, Verfügbarkeit, Vernetzung und Interaktion. Beispiele:

  • Austausch mit dem User: Die Besonderheit der Interaktivität ermöglicht uns, mit dem User direkt in Kontakt zu treten und uns mit ihm auszutauschen. Wie oft und wie intensiv soll dies geschehen? Hier ist der Weg das Ziel: Das bedeutet, dass das Gespräch mit dem User allein schon Ziel des Digital Storytelling sein kann.
  • User Generated Content: Durch Einbeziehung des Users können wir Inhalte von ihm erhalten, seine Ideen, seine Lösungen.

Schritt 2: Legen Sie das Erlebnisversprechen für Ihre Geschichte fest

Sicherheit, Überraschungen und Spaß, Überlegenheit – jede erfolgreiche Geschichte bietet ein starkes Erlebnis. Das Erlebnisversprechen ist jenes einzigartige und attraktive Erlebnis, das unser Publikum bei jeder Begegnung mit uns haben. Dieses Versprechen kann darin bestehen, dass unsere Geschichte beiträgt, das Bedürfnis nach Balance und Geborgenheit zu befriedigen, nach Anregung und Wandel oder nach Status und Überlegenheit.

Schritt 3: Entwickeln Sie die Handlung

Mit dem Inhalt und der Dramaturgie steht und fällt die Wirkung der Geschichte: Die Geschichte kann mittelmäßig erzählt sein, obwohl der Inhalt gut ist; jedoch kann selbst der beste Geschichtenerzähler nichts ausrichten, wenn der Inhalt nicht stimmt. Die Handlung beantwortet die Frage, worum es geht. Welchen Stoff behandelt die Geschichte, was geschieht mit den Figuren? Hier können wir unser Erlebnisversprechen wirkungsvoll inszenieren.

Schritt 4: Bestimmen Sie die Handelnden

Menschen haben für uns herausragende Bedeutung, daher stehen sie auch im Mittelpunkt unserer digitalen Geschichten: Entsprechend ihrer Bedeutung und Funktion können wir die einzelnen Figuren oder Charaktere einteilen in zentrale Charaktere, in Platzhalter und Nebenfiguren. Zu den zentralen Charakteren gehören der Held, Protagonisten und Antagonisten:

  • Hauptfigur: Hierzu zählen unser Held, weitere Figuren, die ihn unterstützen und Antagonisten, die ihn bekämpfen. Die Hauptfiguren bilden den Kern unserer Geschichte: Sie stehen im Blickpunkt – oft ist die Geschichte von ihnen oder in der dritten Person aus ihrer Sicht erzählt.
  • Protagonisten: Menschen, die den Helden unterstützen, zum Beispiel Experten. Archetyp für den Protagonisten ist der Freund und Helfer. Protagonisten wecken Sympathie, Neugier und Interesse.
  • Antagonisten: Menschen, die uns daran hindern, das Erlebnisversprechen umzusetzen. Archetyp ist der Feind, zum Beispiel der ärgste Konkurrent. Antagonisten sorgen für Hass und Mitleid.

Schritt 5: Kreieren Sie Bühne und Requisiten

Unsere Akteure brauchen eine Bühne, auf der ihre Geschichten spielen. Sie trägt maßgeblich zum Gesamterlebnis bei. Zur Bühne gehören sensorische Einflüsse wie Licht, Wärme, Farben und die Stimmung, wie zum Beispiel Erregung oder Langeweile, die diesen Ort kennzeichnen. Zur Inszenierung des Ortes gehört nicht nur seine Lage, sondern auch die Möglichkeit, den Ort mit Requisiten auszustatten, zum Beispiel mit Symbolen wie der Dienstwagen und die Goldrandbrille.

Schritt 6: Beteiligen Sie die User

Digitales Storytelling bedeutet die Einbeziehung des Users in unsere Geschichten. Beteiligen wir ihn und lassen ihn miterleben. Doch wie könnte der User unsere Geschichte beeinflussen? Der Beginn der Geschichte ist vorgegeben, der User könnte sie ergänzen und sogar weitererzählen. Die beiden Pole im Digital Storytelling sind also, ob wir oder der User die Geschichte erzählt.

Beteiligung bedeutet nicht zwangsläufig, die Story in die Hand des Users zu legen: Unsere Geschichte ist ein Angebot, aber der User kann zum Beispiel die Erzählperspektive nach seinen Vorlieben wählen. Die Einbeziehung des Users ist so wichtig für digitales Storytelling, dass wir ihm Kapitel F gewidmet haben.

Schritt 7: Vernetzen Sie die Geschichten

Eine Kerneigenschaft digitaler Medien ist die Vernetzung. Geräte, Technologien, Dienste, Medienobjekte etc. sind untereinander verbunden und kommunizieren miteinander. Digital Storytelling kann somit über Geräte, Social-Media-Plattformen und über Medienobjekte hinweg stattfinden und es kann sich außerhalb digitaler Medien fortsetzen.

Übung: „Snow Fall – The Avalanche at Tunnel Creek“ der New York Times ist ein Meilenstein in der Geschichte des Digital Storytelling im Journalismus? Suchen Sie nach Gründen.

Zusammenfassung

Digital Storytelling bietet Journalisten neuartige Erzählmöglichkeiten. Durch die enorm hochgradige Vernetzung von Menschen und Inhalten wäre der Begriff des „digitalen Lagerfeuers“ entsprechend der klassischen Form des Geschichtenerzählens nicht zutreffend: Die User treffen sich nicht an einem Ort, sondern sie sind höchst aktiv und springen beliebig von Gerät zu Gerät, von Plattform zu Plattform, von Anwendung zu Anwendung.

Literaturverzeichnis

Glassner, A. (2004): Interactive Storytelling. Techniques for 21st Century Fiction. Massachusetts.

Herbst, D.G. (2014): Digital Brand Storytelling – Geschichten am digitalen Lagerfeuer?. In: Dänzler, S./Heun, T. (Hrsg.) (2014): Marke und digitale Medien, der Wandel des Markenkonzepts im 21. Jahrhundert, Wiesbaden, S. 223-241.

Meier, K. (2003): Internet-Journalismus, 3. Auflage, Konstanz.

Mein Buch „Digital Storytelling“

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